Humor als Selbstverteidigung

Leben und Werk des polnischen Filmemachers Marek Piwowski  ■ Von Helmut Höge

„Marek war der Begabteste von

uns allen, aber auch der Faulste.“

Kazimierz Kutz

Der junge Piwowski mußte während seiner elf Schuljahre 13mal die Schule wechseln. Zum Film kam er während des Krieges: „Da sah ich einmal in einer deutschen Wochenschau in Warschau deutsche Panzer auftauchen – und wieder verschwinden. Hinter der Leinwand waren sie nicht: Ich verstand das nicht – und beschloß, mein Leben diesem Wunderwerk zu widmen.“ In dem Film hatten die Deutschen die Russen in die Flucht geschlagen. Später beschlagnahmten die Russen das Wochenschaumaterial, bearbeiteten es und zeigten die Filme erneut: Jetzt waren plötzlich die Deutschen auf der Flucht: „Noch ein Wunder!“

1955 versuchte er zusammen mit einem Freund von Stettin aus nach West- Berlin zu flüchten. Sie wurden an der Grenze verhaftet. „Wir versuchten ihnen einzureden, daß wir uns verlaufen hätten. Ich bekam zwei Jahre aufgebrummt und mußte in einer oberschlesischen Kohlenmine arbeiten.“ 1956 kam Piwowski bei einer Amnestie frei. Zuerst wollte er wieder in einer Kohlenmine zu arbeiten anfangen, dann beschloß er jedoch, Journalist zu werden. Er bestand die Aufnahmeprüfung an der Warschauer Universität und gewann später einen Reportage- Wettbewerb mit einer Humoreske über Seeleute bei der Zeitschrift Novocultura. Mit seinem Freund Frykowski zusammen schrieb er unter anderem einen Artikel über einen Schweden, der jedes Jahr in Zopot Urlaub machte. Der Schwede versuchte daraufhin die beiden Autoren zu verklagen. Diese hatten sich unterdessen an der Filmhochschule in Lodz eingeschrieben. Frykowski, Sohn reicher Eltern und eine Art sozialistischer Playboy, wurde später der erste private Filmproduzent Polens. Er ging dann in den Westen, wo er zuletzt für Roman Polanski „Wenn Katelbach kommt“ produzierte. 1968 wurde Frykowski von Charles Manson ermordet.

Piwowski beteiligte sich 1967 an einem internationalen Filmfestival in Bremen – zum Thema „Was machen junge Leute zwischen 16 und 18 Uhr?“. Für seinen Beitrag „Es brennt, es brennt, endlich passiert etwas“ filmte er ein Feuerwehrfest, auf dem eine Scheune in Flammen aufgeht, und das Treiben von Freeclimbern am Führerbunker „Wolfsschanze“. 1968 begann er mit den Dreharbeiten zu seinem ersten Spielfilm: „Rejs“ (was eine „Sauftour“ aber auch eine „kosmische Odyssee“ sein kann, in diesem Fall jedoch mit „Dampferfahrt“ zu übersetzen ist). „Ein Journalist sah sich die Dreharbeiten auf dem Schiff an. Anschließend sagte er: ,Das wird ein Film gegen die Regierung.‘ – Was nicht falsch war. Der Film kam dann 1970 nur mit einer Kopie – also halb zensiert – in die Kinos. Das war jedoch die beste Reklame: Nach einem Jahr kannte ihn jeder. 1971 sagte mir der Vizekultusminister auf dem Filmfestival in Lagow: ,Marek, hör auf, hier weiter Blödsinn zu erzählen, ich werde Rejs zum italienischen Filmfestival in Pessaro schicken.‘ Das tat er dann auch – jedoch mit einer Kopie ohne Untertitel.“ 1994 bekam der Film auf der Berlinale Standing ovations. Inzwischen ist er in Polen derart berühmt, daß in den Studentenclubs meist eine japanischen Synchronfassung gezeigt wird: Jeder kennt die Dialoge! Die polnische Kritik lobte den zur Hälfte mit Laiendarstellern gedrehten Film bereits 1970 als ein „philosophisches Traktat“. Auf einem Weichsel-Vergnügungsschiff sollen zwei blinde Passagiere mit den Ausflüglern ein anspruchsvolles Kulturprogramm einstudieren. Die Fahrgäste, ihrem Milieu enthoben, verknoten dabei Jargon und Offizialsprache: „These, Antithese, Synthese, Kultur, Mißachtung...“; ein gelehrter Humanist stammelt: „Hier ist es wunderschön, wunderschön...“; eine Dame: „In so schönen, naa Umständen, naa Natur...“; ein Viertelgebildeter, der als halbgebildet gelten will: „Und wer wird dafür zahlen? Wir, das heißt die Gesellschaft“; ein Halbgebildeter, der glaubt die Säule der Nation zu sein: „Also muß man ran an die Arbeit und: bauen!“

Nach „Rejs“ drehte Piwowski einige Aufklärungsfilme – über Alkoholismus („Der Korkenzieher“, 1971) und über Geschlechtskrankheiten (nur für Erwachsene). Der Chef des Warschauer Dokumentarfilmstudios Bossak gab ihm das Geld dafür. Als provokatorisches Element enthielt der Alkoholiker- Film u.a. Zitate von einer Plenarsitzung des Parlaments, auf der gerade die Erhöhung des Plansolls bei der Alkoholproduktion beschlossen wurde. Später kamen einige TV-Produktionen: Raymond Chandler, Georges Simenon und – während des Kriegsrechts – „Catch 22“. 1980 drehte Piwowski einen Dokumentarfilm über Chomeini. Im Jahr darauf bot man ihm eine Filmprofessur in Bagdad an. Statt seiner ging ein Freund von ihm hin: „Er braute sich dort seinen Alkohol selbst – und ist nun gesundheitlich ruiniert. Gut, daß ich die Stelle nicht angenommen habe!“ 1984 offerierte man ihm erneut eine Gastprofessur: am Film-Department der City University von New York. „Ich schrieb ihnen: Ich könne nur etwas über Gangster- und Westernfilme erzählen. Sie waren einverstanden. Auf die Schnelle mußte ich mir daraufhin Dutzende von US-Filme reinziehen. Damals lehrte dort schon die tschechische Mafia, unter anderem Milos Forman. Die Studenten hielten zu meinem Glück nicht viel von Theorie – sie fingen sofort an, Filme zu drehen. Normalerweise arbeiten sie dabei mit den berühmtesten Filmschauspielern zusammen, das ist dort so üblich. Ich zwang sie, selbst zu schauspielern – um sich später als Regisseur besser in ihre Darsteller reinversetzen zu können.“ 1989 flog Piwowski wieder nach Polen – anläßlich der ersten freien Wahlen dort. Danach kehrte er in die USA zurück. 1993 drehte er „Agathas Entführung“. Der Film handelte von der neuen Klasse in Polen, die dieselben alten – amoralischen – Methoden benutzt, um nach oben zu kommen: „Unsere Desillusion oder besser Illusion war, alles Böse mit dem (kommunistischen) System identifiziert zu haben. Inzwischen glaube ich, in Polen kann überhaupt kein System auf Dauer existieren.“ Piwowski drehte „Agathas Entführung“ erneut mit Schauspielern und Amateuren: „Ich bevorzuge Amateure, weil man dabei öfter überrascht wird, mit Profis zu arbeiten ist jedoch einfacher. Wenn man jedoch die Wahl hat – zwischen mehr Wahrheit und mehr Schönheit, dann sind die Amateure wahrer.“

1997 folgte wieder eine Fernsehproduktion: „Krok“ („Der Paradeschritt“) – ein in Deutschland undenkbares TV-Projekt: Der polnische Geheimdienst will herausbekommen haben, daß der Aufnahme Polens in die Nato nichts mehr im Wege steht – bis auf den unmöglichen Paradeschritt der polnischen Armee. Einige hochkarätige Militärs versammeln daraufhin heimlich diverse Vertreter des öffentlichen Lebens in einem Theater, um ihnen neue Paradeschritte vorzuführen und sie diskutieren zu lassen. „Krok“ war im letzten Jahr der meistbejubelte Film auf dem Festival von Lagow. In Piwowskis nächstem Fernsehfilm geht es um Fußballfans. Zur Erholung macht der heute 63jährige Dauerläufe um Fußballstadien. In Berlin, das er – nach seiner mißglückten Republikflucht 1955 – doch noch Anfang 1998 erreichte, joggte er um das Olympiastadion. Eingeladen hatte ihn das polnische Kulturinstitut – anläßlich des 50jährigen Bestehens der Filmhochschule von Lodz. Der Regisseur Kazimierz Kutz urteilte über diese wohl bekannteste Filmhochschule der Welt: „Bedingung für die Aufnahme war zwar die Mitgliedschaft im Kommunistischen Jugendverband, aber unsere Lehrer hatten ihre Überzeugungen, und sie hatten den Mut, sie nicht nur zu äußern, sondern auch für sie zu kämpfen... Ich denke, wenn man das Geheimnis der Entstehung dessen sucht, was man später die Polnische Schule nannte, dann liegt gerade hier die Ursache – in der ideologischen Spannung.“ Über ihren Lehrer Jerzy Toeplitz schrieb Andrzej Kostenko: „Er erzählte uns viel über Europa und die Welt. Er verfolgte eine geistreiche Politik, um uns das Bewußtsein eines Europas ohne Eisernen Vorhang, das Bewußtsein, daß Polen kein verlorener Planet ist, einzuimpfen.“

Im Rahmen der Polnischen Woche werden vom 5.6. bis zum 10.6. in der Filmbühne am Steinplatz erneut 14 polnische Dokumentarfilme vom Kulturinstitut gezeigt.