„Mann mit dem Goldhelm“ im historischen Kontext

■ Allen neuen Kunstauffassungen zum Trotz verkörpert die Neue Gemäldegalerie in ihren Raumfolgen das „Bild“ des 19. Jahrhunderts: Nordeuropäische und südeuropäische Kunst hängen sich gegenüber

Als Giotto und Botticelli, Dürer und Cranach malten, war von Berlin noch kaum etwas zu sehen. Heute schmückt sich die Hauptstadt mit ihren Werken, die zum ältesten Bestand der Gemäldegalerie zählen, deren Sammlung vom 1830 gegründeten Kaiser-Friedrichs-Museums-Verein aufgebaut wurde.

Bedeutete die Gründung der Museen schon im 19. Jahrhundert ein Zeichen der Emanzipation und Repräsentation des aufgeklärten Bürgertums gegenüber dem Adel, so wiederholt die neugebaute Gemäldegalerie am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts diese architektonische Geste.

Ihre klassizistische Raumfolge verweist auf den Ursprung der Sammlung, ihre zurückgenommene Modernität weiß um den historischen Abstand.

Das Zentrum des neuen Museums bildet eine achtzig Meter lange Wandelhalle, von kleinen Kuppeln überwölbt. Dieser monumentale Raum bleibt für Expositionen leer; in ihm werden keine Bilder ausgestellt.

Seine Weite ist den Kunstschätzen wie ein Ausrufezeichen vorangestellt. Ihre Leere markiert den zeitlichen Abstand zwischen dem heutigen Betrachter und den Gemälden, der seit den Anfängen der Sammlung vor 170 Jahren noch einmal gewachsen ist.

Die Gliederung der Galerie in zwei Flügel für die nord- und südeuropäische Malerei entspricht dem kunsthistorischen Konzept der Gründerväter. Die samtbespannten Wände, Sockelzonen und Gesimse setzen diesen historisierenden Ton fort. Dieser räumliche Rahmen ist einer der Kunstgeschichte pur, der die Werke von ihrem ursprünglichen sakralen und repräsentativen Kontext loslöst.

Doch seit den Zeiten der Museumsgründung hat sich die Bedeutung der Sammlung geändert. Durch die Teilung der Stadt waren die Rekonstruktion der Sammlung und der Neubau der Galerie lange vorrangiges Ziel der Museumspolitik. Darüber schien man in Dahlem, der provisorischen Heimat der Gemäldegalerie, oft vergessen zu haben, daß die Kunstgeschichte sich weiterentwickelt.

Denn als in den siebziger und achtziger Jahren die Geschichte neu befragt wurde, entdeckte man auch in der Malerei ein Kapital an gespeicherter Vergangenheit.

Untersuchungen über die Herausbildung des bürgerlichen Subjekts, über die Entdeckung der Landschaft und die Konstruktion eines bis heute gültigen Naturbegriffs oder über die kreative Kraft des Häßlichen und Bösen wurden von Ausstellungen begleitet.

Die fanden allerdings anderswo, in Hamburg, Frankfurt oder London, statt. Dieses Befragen der Bilder von dem aus, was uns in der Gegenwart beschäftigt, hält die Kunstgeschichte lebendig. Ihre Botschaften lassen sich nicht endgültig entschlüsseln.

Doch an der Berliner Gemäldegalerie ging dieses Umkrempeln der Geschichte fast spurlos vorüber. Draußen in Dahlem lagen ihre Schätze brach. Verglichen mit dem Gedrängel im Dresdener Zwinger oder dem Geschiebe im Pariser Louvre, war es in der Berliner Gemäldegalerie erstaunlich beschaulich.

Die größte Sensation der Gemäldegalerie war eine Demontage: „Der Mann mit dem Goldhelm“ stammte gar von nicht von der Hand des Meisters Rembrandt, sondern aus seinem Umkreis. Das Bild, schon vom Kaiser- Friedrich-Museums-Verein erworben, war das berühmteste der Galerie, oft reproduziert, Inbegriff des Kunstgeschmacks.

Erschüttert wurde nicht nur das Vertrauen in die kunsthistorische Zuschreibung, sondern auch der Begriff des Genies, dem göttliche Intuition die Hand geführt hat.

Mit der Aufdeckung des Rembrandt-Umfelds rückte an die Stelle des mythisch verklärten Künstlerbildes die Vorstellung der Werkstatt.

Dadurch gerieten die Bedingungen der Kunstproduktion und die Herausbildung des Kunstmarktes mehr in den Blick. Dem will die Hängung in der neuen Gemäldegalerie Rechnung tragen, in dem Bilder der Schüler Rembrandts, die vorher im Bodemuseum von der Sammlung getrennt waren, nun mit seinen Werken zusammengebracht werden.

Ob die neue Gemäldegalerie aber nun eine der Qualität der Sammlung angemessene Anerkennung findet, hängt auch davon ab, wie sehr sie nun die Bilder zum Sprechen bringt und die konservativen kunsthistorischen Kategorien zu durchbrechen vermag. Katrin Bettina Müller