■ Ökolumne
: Faktor Mensch Von Peter Jakubowski,
Stefan Kotte und Henning
Tegner

Wohlmeinende Umweltpolitiker scheinen sich der Grenzen ihrer Forderungen erst bewußt zu werden, wenn man sie schmerzhaft darauf stößt – so etwa ging es den Grünen mit ihrem Benzinpreisbeschluß, den sie dieses Wochenende aufwendig korrigieren müssen. Getreu dem Motto „Der Weg ist das Ziel“ hatten sie in Magdeburg die vermeintlich konsensfähige 5-Mark- Forderung aufs Podest gehoben und erfahren müssen, daß es mit dem Konsens gar nicht so weit her ist. Die Umweltpolitik kann daraus dreierlei lernen: 1. Der Weg ist eben nicht das Ziel. 2. Zum vielbeschworenen Konsens über Umweltziele ist es noch ein weiter Weg. 3. Ökologische Ziele werden erst dann verständlich, wenn die damit verbundenen Kosten offengelegt werden. Das müssen auch so renommierte Einrichtungen wie das Wuppertal Institut noch lernen.

Während andere Nationen, wie die Niederlande, bereits umfassende ökologische Zielkataloge erstellt haben, schwebt die deutsche Umweltpolitik noch immer ziellos im Raum. Instrumente wie der 5-Mark- Benzinpreis beherrschen die Debatte, ohne daß jemand dem Normalbürger vermitteln könnte, welche Vorteile das bringt. Umweltwissenschaftler fordern daher, das Pferd von vorne aufzuzäumen und sich zunächst über die Ziele klarzuwerden. Bisher kursieren da allerdings nur wenig überzeugende Vorschläge.

Besonders populär ist die Forderung des Wuppertal Instituts nach einer „Dematerialisierung“ von Produktion und Konsum um den Faktor 10. Darunter versteht man in Wuppertal eine Verringerung des gesamten Materialverbrauchs in Industrie und Haushalten um 90 Prozent – also um den Faktor 10. Niemand aber weiß, was das im Detail für Konsequenzen hat.

Inzwischen hat das Konzept breiten Anklang in der Umweltdebatte gefunden. Seine einseitige Fokussierung auf den Materialverbrauch ist jedoch fragwürdig. Dies wird deutlich, wenn man den Faktor 10 mit der 5-Mark-Forderung vergleicht, die zumindest an ihrer Kostenehrlichkeit nichts missen läßt. Jedermann kann sich vorstellen, welche Anpassungsmühen und Zusatzlasten auf ihn zukommen, wenn der Liter Benzin fünf Mark kostet. Dagegen ist der Faktor 10 eine Mogelpackung, der die Kosten komplett ausklammert. Dabei sollte offensichtlich sein, daß solche umweltpolitischen Ziele nicht an der ökonomischen Wirklichkeit vorbeikommen, sondern am „Faktor Mensch“ scheitern.

Dem Ansatz des Least-Cost-Planning aus der Energieeinsparung entlehnt, nach dem nicht die Energie selbst, sondern allein die erbrachte Leistung ökonomisch wertvoll ist, wird eine Minimierung der Stoffverbräuche gefordert. So hat das Wuppertal Institut errechnet, daß ein Exemplar einer Tageszeitung alles in allem einen Materialverbrauch von einem Zentner erzeugt. Was aber soll daraus folgen, wenn sich etwa herausstellt, daß eine Radiosendung nur zwanzig Kilogramm Material pro Hörer benötigt? Werden dann alle taz-LeserInnen zum Radiohören verdonnert?

Begründet wird der Vorrang des Faktor-10-Ansatzes vor den Wünschen des einzelnen mit dem Gebot der Vorsorge. Die Unsicherheit über ökologische Parameter und die Gefahr von unumkehrbaren Schäden erfordere den Faktor 10 – und nichts anderes. Nun besagt das Vorsorgeprinzip, daß das Vermeiden von Schäden immer günstiger ist als „nachsorgender“ Umweltschutz. Für akute Gefahren steht dies außer Frage. Ansonsten aber müssen auch die Nutzen einer höheren Umweltqualität den zusätzlichen Kosten gegenübergestellt werden. Jeder weiß das, doch das Wuppertal Institut und die Grünen haben es ignoriert.

Ohne mehr Ökonomie vergibt die deutsche Umweltbewegung gewichtige Chancen, konsensfähige Umweltziele zu erlangen. Im Mittelpunkt steht nicht der Faktor 10, sondern der Faktor Mensch.

Von den Autoren ist das Buch erschienen: „Strategien umweltpolitischer Zielfindung“, LIT Verlag, 160 S., 29,80 Mark