Gen-Forschung ist problematischer als ihr Ruf

■ Die Hoffnung auf neue Impfstoffe hat die Risiken der Gen-Technik in den Hintergrund treten lassen. Dabei lauern aber gerade in ihrer medizinischen Anwendung unvorhersehbare Gefahren

Die Gen-Technik schreitet voran. Trotz aller Kritik. Dieses Jahr wird bereits eine Fläche so groß wie Italien bebaut mit genmanipulierten Pflanzen, die Unkrautvernichtungsmitteln widerstehen oder ihre Freßfeinde vergiften. Biologen und Mediziner forschen an Schweinen mit Menschen-Genen, die als Organbank dienen sollen, sie testen Gen-Therapien, mit denen sie den Krebs besiegen wollen. Bislang gab es keine großen Katastrophen. Alles paletti also?

Als vor sechzig Jahren die Chemikalie FCKW erfunden wurde, glaubten die Forscher, eine ideale Substanz erfunden zu haben: vollkommen stabil und ungiftig. Ideal als Treibgas für Sprühdosen oder Kühlmittel für Gefrierschränke. Heute sind sie verboten. Es ist genau ihre Stabilität, die die FCKW so gefährlich macht, die sie ungestört in die oberen Luftschichten aufsteigen läßt, wo sie die Ozonschicht zerstören. Wäre das Ozonloch nicht zufällig vor 20 Jahren entdeckt worden, wäre die schützende Schicht vielleicht schon nicht mehr zu retten.

Solche Zusammenhänge sind kaum vorhersehbar. Das Problem der Gen-Technik ist, daß sie in jedem Fall direkt in die komplexen Systeme Organismus und Natur eingreift. Das macht solche Überraschungen wahrscheinlicher. So wurden zum Beispiel schon Marienkäfer unfruchtbar, weil sie Blattläuse fraßen, die an Kartoffeln mit Insektengiftgenen gesaugt hatten. Das war natürlich nicht geplant, weil ja die Marienkäfer Pflanzen gerade von Schädlingen befreien.

Mitte der 80er Jahre wurde noch darüber spekuliert, ob Krankheiten wie Aids ein Produkt der Gen- Technik sein könnten. Heute ist eine Mehrheit der Bevölkerung für Gen- Technik, wenn sich damit ein Impfstoff gegen Aids herstellen läßt. Insgesamt steht die Bevölkerung dieser „weißen Gen-Technik“ aufgeschlossen gegenüber, während sie die „grüne Gen-Technik“ in der Landwirtschaft eher ablehnt. Kaum einer erwartet von Gen- Kartoffeln einen Vorteil. Dabei sieht selbst die forschungsfreundliche deutsche Genehmigungsbehörde, das Robert-Koch-Institut, in der „weißen Gen-Technik“ viel eher Risiken, die es abzuwägen gilt, als in der „grünen“.

Problematisch sind aus Sicht der Kritiker besonders zwei Entwicklungen. Erstens „transgene“ Tiere: Auch in Deutschland werden Schweine mit Menschen-Genen gezüchtet, die einmal als Organspender dienen sollen. So wollen es die Forscher. Dieses ist in Deutschland und Großbritannien bislang verboten – aus gutem Grund.

Von Grippeviren weiß man, daß sie sich durch Wirtswechsel von Mensch zu Schwein zu Geflügel zum Menschen immer wieder neu und gefährlich variieren (etwa die „Hühnergrippe“). Diese Mutationen werden erleichtert, wenn die Schweine auch noch über menschliche Gene verfügen, ihre Organe gar transplantiert werden.

Problematisch ist zum zweiten die Gen-Therapie, die bereits in Deutschland erprobt wird: Dabei werden etwa Krebspatienten mit Hilfe von Viren Gene eingeschleust, die die Tumorzellen bekämpfen sollen. Das entspricht faktisch einer Freisetzung dieser Viren, auch wenn das deutsche Gesetz das ausdrücklich nicht so sieht. Doch der Patient scheidet die Viren später aus. Sie könnten auf Mitmenschen überspringen und sie schädigen.

Die Freisetzungen sind auch bei Pflanzen, vor allem aber bei Bakterien nach wie vor kritisch. Vor allem Bakterien tauschen rege ihr Genmaterial aus, eingeschleuste neue Gene könnten sich also munter unkontrollierbar verbreiten. Anfänglich vermuteten die Gen- Techniker, daß ein genmanipulierter Organismus durch den Eingriff so geschwächt wird, daß er auf längere Zeit kaum überlebensfähig ist. Das hat sich als falsch herausgestellt.

Zwar glaubt heute kaum noch jemand, daß die Gen-Technik an sich ein Problem ist. Der bündnisgrüne Gen-Kritiker Manuel Kiper hält die ganz großen Katastrophenszenarios heute für unwahrscheinlich, wenn auch nicht unmöglich. „Wir sehen die Gefahren mittlerweile wesentlich differenzierter“, sagt der grüne Bundestagsabgeordnete Kiper. „Das heißt aber nicht, daß es Anlaß zur Entwarnung gibt.“

In den vergangenen Jahren entdeckten Forscher auf Seen, in Flüssen und sogar im Blut des Menschen jede Menge Bruchstücke fremden Erbguts. Offenbar haben alle Lebewesen Abwehrmechanismen entwickelt, um mit fremden Genen fertig zu werden. Deshalb müssen Gen-Techniker einen Teil dieser Abwehrmechanismen außer Kraft setzen, wenn sie etwa in Pflanzen die Gene von Bakterien einbauen wollen.

Die Folge: Sind Pflanzen erst genmanipuliert, geben sie auch viel leichter die fremden Gene an Bakterien weiter. Matthias Urbach