„Das Wort Holocaust fällt inflationär“

■ Ein ehemaliger Mitarbeiter des DVU-Chefs Frey berichtet, wie dessen rechtsextremes Medienunternehmen funktioniert

Über vier Jahre lang hat Jörg Fischer für den Presseverlag des DVU-Chefs Gerhard Frey in München gearbeitet. Zunächst hauptamtlich, später freiberuflich schrieb er u.a. für die „Deutsche National- Zeitung“. Zum Rechtsextremismus war Fischer bereits mit 13 gestoßen, als er sich der NPD-Jugend Junge Nationaldemokraten anschloß. In über acht Jahren politischer Arbeit erschienen seine Artikel in rechten Blättern. Ende 1991 zog sich der heute 29jährige aus dem Rechtsextremismus zurück, 1996 machte er seinen Ausstieg öffentlich.

taz: Wie läuft ein Arbeitstag bei der „National-Zeitung“ ab?

Jörg Fischer: Man beginnt morgens damit, Zeitungen durchzublättern, ob es irgend etwas Interessantes zum Abschreiben gibt. Auch linke Medien wie die taz liest man aufmerksam. Dann flattert der erste „Rundbrief“ durchs Haus. Es gibt im Gegensatz zur normalen Zeitung bei Frey keine Redaktionssitzungen, sondern die Mitarbeiter bekommen ein-, zweimal oder öfter am Tag einen Rundbrief, in dem die Aufgaben zugewiesen werden. Frey bestimmt die Themen der Zeitung. Die Themen wiederum richten sich nach Geschäftsinteressen, sie müssen also zu irgend etwas passen, das Frey vermarktet – Medaillen, Bücher, Schallplatten oder Videos. In diesem Rundbrief steht also, Herr Soundso möge bitte einen Artikel zu dem und dem Thema schreiben. Meist liegt ein Bericht beispielsweise aus dem Münchner Merkur oder der Süddeutschen bei, und es geht darum, diesen Artikel mit einer anderen politischen Bewertung umzuschreiben.

Wurde der Tenor dieser Artikel ausdrücklich vorgegeben?

In der Regel war das nicht nötig, weil diejenigen, die dort arbeiten, Überzeugungstäter sind, und ich war ja auch einer. Es war etwa klar, daß in Artikeln über die Vorlage der Kriminalstatistik ein Schreckensszenario der angeblichen Bedrohung durch Ausländer gezeichnet wird. Außerdem machte man Erfahrungen – dadurch, was Frey an Artikeln änderte.

Die Änderungen fanden ohne Rücksprache statt?

Ja, zur Kenntnis bekam man sie, wenn man die Zeitung las – vorausgesetzt, man hatte das Glück, seinen eigenen Artikel wiederzuerkennen. Veränderungen nahmen gelegentlich auch Freys Kinder vor. Mir geschah das vor allem in der Anfangsphase. Ich war ja erst 18 und hatte Probleme, mich auf die alte Leserschaft der National- Zeitung einzustellen.

Später wurde aber klar, was gewünscht war?

Es sind ja Formulierungen, die immer wiederkehren. DVU-Veranstaltungen sind „gigantisch“, „triumphal“, „paukenschlagähnlich“. Es gibt „grenzenlose Begeisterung“ oder „Beifallsstürme“ für „den Bundesvorsitzenden der Deutschen Volksunion und Verleger der Freiheitlichen Wochenpresse, Dr. Gerhard Frey“. Einmal habe ich es gewagt, ihn mit „Herr Frey“ anzusprechen – da hat er mir einige Tage gezürnt. Häufig werden Begriffe gebraucht, die eindeutig sind, aber schwer angreifbar. Frey wollte damals in seinen Zeitungen nicht die Formulierung „Volksgemeinschaft“, sondern „Solidargemeinschaft“. Bezeichnend ist der inflationäre Gebrauch des Wortes „Holocaust“. Bei Frey gibt es den „Holocaust an den Indianern“, den „Holocaust an den Negersklaven“, den „Holocaust der Vertreibung“, sogar den „Holocaust an Robbenbabies“.

Welchen Kontakt gab es zur Leserschaft?

Nur über die Leserbriefe. Die Briefe haben mich damals schon belustigt, sie sind aber auch schockierend. Da schreiben Leute, wie sie Frey für seine Tapferkeit bewundern, vom „heldenhaften Kampf“ ist die Rede, von „selbstlosem Einsatz“. Es ist eine religiös anmutende Verehrung seiner Person, und Frey liebt es, die Leserbriefseiten so zu füllen.

Welche Aufgaben hatten die Mitarbeiter im Verlag neben der Zeitungsarbeit?

Mitarbeiter im Haus verfassen auch die Bücher aus Freys Verlag. Diese Bücher sind in der Regel aus Artikeln der National-Zeitung zusammengestöpselt, die etwas ausgeschmückt, in die Länge gezogen und mit Fotos versehen werden. Während das Buch im Verlag entsteht, beginnt die Suche nach jemandem, der nach außen als Herausgeber oder Autor fungiert und mit dem man Werbung machen kann. Es gab beispielsweise ein Buch „Die wahren Schuldigen am Zweiten Weltkrieg“, in dem es um die Reinwaschung Hitlers als Kriegsschuldigen geht. Als Autor wurde NPD-Mann Ulrich Stern aus Nürnberg ausgewählt, weil er unter rassistischen Gesichtspunkten als „Halbjude“ gilt. Das wurde werbewirksam ausgeschlachtet, um die Glaubwürdigkeit des Buches zu erhöhen.

Waren Sie auch in der DVU aktiv?

Jeder Festangestellte des Verlages ist das. Dazu gehörte etwa, die Wahlwerbung der DVU zu schreiben, den Wahlkampf zu planen. Ob für Sachsen-Anhalt, Bremen, Hamburg oder Schleswig-Holstein: Der Wahlkampf wurde zentral in München organisiert. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hat auch die Rede des DVU-Alterspräsidenten im Landtag von Sachsen-Anhalt ein Mitarbeiter in München geschrieben. Einige Formulierungen lassen mich ahnen, wer das fabriziert haben könnte. Frey behandelt die Partei wie eine Untergliederung seines Unternehmens, eine personale Trennung von Verlag, sonstigen Geschäftsaktivitäten und Partei gibt es nicht. Er ist nicht nur der Vorsitzende der DVU, sondern ihr Besitzer. Interview: Thomas Pfeiffer