Bahn überprüft und überprüft

■ Alle ICE-Züge der ersten Baureihe aus dem Verkehr gezogen. Weil Radbruch wahrscheinlich die Unglücksursache ist, werden alle Räder mit Ultraschall durchgetestet. 50 Opfer identifiziert

Eschede (rtr) – Die Bahn AG hat nach dem Zugunglück von Eschede erneut alle ICE-Hochgeschwindigkeitszüge der ersten Baureihe aus dem Verkehr gezogen, um die Räder mit Ultraschall zu überprüfen. Am Wochenende wurde ein Radbruch als Ursache für das Unglück immer wahrscheinlicher. Die Zahl der Todesopfer der Katastrophe stieg auf 102. Damit ist das ICE-Unglück der schwerste Zugunfall in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Suche nach persönlichen Gegenständen von Opfern und nach Leichenteilen dauerte an. Trauernde legten ein Holzkreuz und Blumen am Unfallort nieder.

Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) sagte, durch die Ultraschalluntersuchungen sollten mögliche Schäden bereits im Frühstadium entdeckt werden. Bahn-Vorstand Peter Münchschwander sagte, es handele sich um eine „Abwägung hin zur sicheren Seite“. Es seien keine neuen Indizien bekannt, die eine solche Zusatzuntersuchung nahelegten. Die bisherigen Untersuchungen der ICE seien nur durch Augenschein und mit Meßgeräten vorgenommen worden.

Bahn-Chef Johannes Ludewig sagte, bei der Untersuchung von bisher 96 Radsätzen sei kein Schaden gefunden worden. Für die Ultraschalltests sind nach Angaben Ludewigs 15 Tage angesetzt. Das Tempolimit von 160 Stundenkilometern wird nur für ultraschalluntersuchte Züge aufgehoben. Bis zum Sonntag nachmittag sollten zwei Züge den Test durchlaufen haben. Auch die 15 Züge, die nach der ersten am Donnerstag angeordneten Sicherheitsprüfung wieder eingesetzt wurden, mußten in die Werkstätten zurückkehren.

Noch vor dem erneuten Eintreffen in der Werkstatt unterbrach der ICE 90 „Prinz Eugen“ am Samstag wegen eines Geräusches am Zug seine Fahrt. Ein Schaden am Fahrwerk des Zuges, der bereits die erste Sicherheitsprüfung durchlaufen hatte, lag nach Angaben der Bahn nicht vor. Motor und Getriebe werden noch untersucht. Die 150 Fahrgäste wurden in Regionalzügen weiterbefördert.

Der ICE 884 von München nach Hamburg war am Mittwoch vormittag mit Tempo 200 bei Eschede in eine Brücke gerast. Die um die Räder gespannten Radreifen sollen den Zug in der Spur halten. Als weitere Konsequenz aus dem Unglück erhöhte die Bahn die Mindestdicke der ICE-Räder von 854 auf 890 Millimeter. Außerdem erwägt sie die Einführung neuer Sicherheitssysteme beim ICE. Möglich sei ein Warnsystem, das Fehler im Radlauf registriere, sagte Bahn- Chef Johannes Ludewig dem Focus. Denkbar sei auch, daß sich die Fahrgäste künftig anschnallen müßten, sagte er dem Spiegel.

Am Unglücksort arbeiteten auch gestern bei schwülem Wetter noch rund 250 Helfer. Die bereits für beendet erklärte Suche nach Opfern wurde am Samstag mittag wieder aufgenommen, nachdem eine weitere Leiche im Erdreich bei der eingestürzten Brücke gefunden worden war. Weitere Opfer wurden gestern nicht geborgen. Es sei unwahrscheinlich, daß noch mehr Menschen unter den Trümmern lägen, erklärte gestern ein Polizeisprecher. 50 der gefundenen Toten wurden bis gestern nachmittag identifiziert.