Sprachmüll auf dem Sofa

■ Macht Absurdität noch Sinn? Karin Henkel inszeniert Ionescos „Die Unterrichtsstunde/Die kahle Sängerin“ am Thalia Theater

Mit 36 Jahren sprach der 1912 in Rumänien geborene und in Paris aufgewachsene Lehrer und Redakteur Eugene Ionesco kein Wort Englisch. Dieser Tatsache hat, eigenen Angaben zufolge, die Welt sein dramatisches Debüt Die kahle Sängerin zu verdanken, denn in so einem Englischlehrbuch, da stehen inspirierende Dialoge und auch fundamentale Weisheiten wie „Die Decke ist oben, der Boden ist unten“. Das sei ihm möglicherweise bereits vor der Sprachbuchlektüre bekannt gewesen, so der Dramatiker, aber er hatte noch nie darüber nachgedacht. Und nach dem Denken sei ein „Rückfall in die Sünde des Formalismus“ ausgeschlossen gewesen. Das war die Geburt des absurden Theaters.

Menschen tauschen höfliche Phrasen, reden, plappern, schwätzen, laufen leer. Konventionen sind hohl, Sprache, so wie wir sie nutzen, ein Vehikel des Nonsens. „Man sagt's“, sagt Mrs. Smith (Ulli Maier). „Man sagt auch das Gegenteil“, behauptet Mrs. Martin. „Die Wahrheit liegt in der Mitte“, schlichtet Mr. Smith (Hans Christian Rudolph). „Stimmt“, ergänzt Mr. Martin (Christoph Bantzer). Die Unterrichtsstunde (Schülerin: Angelika Richter) hat etwa das gleiche Niveau.

1950 war das Ausreden des Unsinns eine Revolution auf dem Theater. Warum bringt Karin Henkel heute zwei absurde Farcen auf die Bühne, wo doch die Feststellung, daß wir im wesentlichen Sprachmüll produzieren, längst selbst ein Allgemeinplatz ist? Ihre Inszenierungen am Thalia Theater geben keine überzeugende Antwort. Überkandidelte Kunstfiguren verstellen ihre Stimmen auf einem großen Sofa und bemühen sich doch um eine Art Salonkomödien-Realismus. Was bei dieser Entlarvung gesellschaftlicher Konventionen fehlt, ist nebenbei eine kleine, selbstironische Abrechnung mit dem Theater, dessen Umgang mit einst radikalen Klassikern doch heute meist ebenso freundlich-harmlos und damit banal wie das verurteilte Konversationsgewäsch ist. Christiane Kühl