Hasenköttel in Backformen

■ Kunstvolles Scheitern als zentrales Thema: Zum Tod des Objektkünstlers Dieter Roth

Der sogenannte Katalog befindet sich in einer sogenannten Dreiflügelmappe der Firma „bene“ aus Österreich: „Er besteht in einem Teil, wenn gedruckt (vervielfältigt) das erscheint, was bis 18.00 Uhr am 7. Februar 1995 fertig geschrieben & fertig arrangiert vorgelegen hat.“ Den Erwerbern des Katalogs wird versichert, mit dem Kauf des ersten Teils das Recht erworben zu haben, den 2. Teil zu erwerben, der ihnen von der Mitte des Februar 1995 zugeschickt werden wird. In der Wiener Secession, in der im Frühjahr 1995 eine mit wenigen Worten nicht zu beschreibende Dieter-Roth/Björn-Roth-Ausstellung stattfand, lagen neben den im Katalogvorwort von Dieter Roth „sogenannt“ genannten Katalogen Listen aus, in die Katalogkäufer ihre Adresse eintragen konnten. Der zweite Teil des Katalogs wurde den Käufern nach Ausstellungsende zugesandt und war ebenso mit Texten, Skizzen Fotos und Ordnungs- und Unordnungssystemen durchwoben.

Das mehr oder weniger kunstvolle Scheitern war ein zentrales Thema des am Sonntag im Alter von 68 Jahren an Herzversagen verstorbenen Dieter Roth. Seine Bibliographie umfaßt unzählige Bücher, versammelt unter der Überschrift „Textähnliches“. Wunderschöne Titel wie „Wer war Mozart?“ und als Folgeband „Wer ist der, der nicht weiß, wer Mozart war?“, herausgegeben von der edition hansjörg mayer in Stuttgart/ London/Reykjavik. Oder „Frühe Schriften und typische Scheiße, ausgewählt und mit einem Haufen Teilverdautes von Oswald Wiener“. Die von Roth gegründete Timarit fyrir allt, die Zeitschrift für Alles, mußte 1987 mit ihrer zehnten und 1.252 Seiten umfassenden Schwerstausgabe eingestellt werden. Mit ihr sollte „etwas Gerechtes vorgelegt werden“. Buchstäblich jedEr konnte Beiträge verfassen. Alle wurden veröffentlicht: Wegen des großen Erfolgs blieb das Projekt unfinanzierbar.

Dieter Roths Biographie vermerkt im Jahr 1952 neben dem „Reinigen der Jesuitenkirche in Solothurn“ auch den geglückten Versuch, den Schweizer Militärdienst zu verweigern. 1953 stellt er seine „erste gebackene Plastik“, eine Spirale aus Brotteig, in einem Schaufenster aus. Den Terror, der hierzulande von Büchern und Würsten ausgeht, löste er 1961 mit seinen „Literaturwürsten“ auf geniale Weise auf. Sie bestehen aus Tierdärmen, gefüllt mit zerkleinerten Büchern, Wasser, Fett, Gewürzen und Gelatine. Zeitgleich entstehen „Stupidogramme“, „dumme Bilder“ und Schimmelbilder; Graphiken. Wo Josef Beuys den Zufall, Fehler oder Ausrutscher einkreiste, ihm eine Form gab und etwaige Unsicherheiten als intuitives Vorwärtstasten zum guten Ganzen begriff, preßte Dieter Roth Hasenköttel in Backformen zu Hasen zusammen, füllte eine Badewanne mit Beethovenbüsten aus ranziger Schokolade und zerriß eine soeben gedruckte Graphik: Sie gefiel ihm einfach nicht. Der Zweiteiler landete als Graphik, die „nicht gefiel“, in einem Rahmen.

Ein anderes Mal ärgerte Roth sich über Besucher, die andächtig eine Beuys-Installation aus einem Tisch, filzumwickelten Stühlen und einem mit Fett gefüllten Eimer bestand. Also kommentierte er die Arbeit, indem er ein Arrangement aus Campingtisch und Klappmöbeln dagegensetzte. Das Ergebnis: Die Besucher setzten sich auf die Campingmöbel, um die Installation von Beuys zu betrachten. Wütend trat Roth in den Fetteimer, versuchte seinen Fuß wieder herauszuziehen, und stapfte schließlich mit den fettverkleckerten Schuhen entlang einer dazugehörigen Kupferrinne. Schadensersatz mußte er nicht bezahlen, nachdem er Beuys von seinen Geldnöten erzählte. Sie einigten sich, die zerstörte Arbeit als Gemeinschaftsproduktion zu bezeichnen.

Eine größere Sammlung seiner Graphiken und Objekte befindet sich im Nýlistasafnid, dem von ihm und dem isländischen Künstler Magnús Pállson gegründeten Living Art Museum in Reykjavik. Nach Island kam Dieter Roth 1957 durch die Heirat mit Sigridur Björnsdóttir. Mit ihr und den gemeinsamen Kindern Karl, Björn und Vera arbeitete er oft zusammen. Auf einer Fahrt entlang der isländischen Küste („Autofahrt 17. April 1979, klukkur 15 - 16“) plaudern Björn und Dieter auf isländisch. Die Fahrt dauert vierzig Minuten auf der LP, auf der sie sich nun befindet. Mehr paßte nicht drauf. Wolfgang Müller