Dunkle Kräfte in Indonesiens Militär

Armeechef Wiranto läßt die Entführungen von Oppositionellen unter dem Suharto-Regime untersuchen  ■ Aus Jakarta Jutta Lietsch

Zum Abschied gaben die Entführer dem indonesischen Anwalt Desmon Mahesa noch eine Drohung auf den Weg: Wenn er es wagen sollte, über seine Haft zu sprechen, sei er „ein toter Mann“. Seiner Familie und seinen Freunden solle Desmon erzählen, daß er zu einem „Forschungsaufenthalt“ in die Provinz gefahren sei. Dann steckten sie dem 32jährigen ein Ticket für den Flug in seine Heimatstadt Banjarmasin auf Borneo zu und befahlen ihm, die Hauptstadt Jakarta so schnell wie möglich zu verlassen.

Zwei Monate hatte die Tortur des Desmon Mahesa gedauert. Er gehört zu über zwanzig indonesischen Dissidenten, die in den letzten Monaten gekidnappt, verhört und gefoltert wurden. Einige von ihnen kamen inzwischen wieder frei. Andere sind noch immer verschwunden. Menschenrechtler wie Bambang Widjajanto vom indonesischen Rechtshilfe-Institut (YLBHI) in Jakarta fürchten, daß mehrere möglicherweise ermordet wurden.

Mit dem Fall von Präsident Suharto öffnet sich nun eines der dunkelsten Kapitel seines Regimes: die systematische Verfolgung und Folter von Oppositionellen. Nun haben die Opfer den Mut, ihren Leidensweg zu schildern. Selbst Militärs scheinen jetzt bereit, die Verbrechen aufzuklären. Denn in der Vergangenheit wurde immer wieder der Verdacht laut, daß geheime Folterschwadronen einen Krieg gegen die Opposition führten. Wer die Fäden zog und die Befehle gab, ist bislang nicht klar. Fest steht nur: Der Schwiegersohn Suhartos, der unter anderem beim deutschen Grenzschutz geschulte Generalleutnant Prabowo Subianto, wurde in letzter Zeit immer wieder verdächtigt, hinter den Entführungen zu stehen.

Das Drama Desmons begann am Nachmittag des 3. Februar: Mehrere Männer überfielen den Leiter des Rechtshilfe-Instituts von Nordjakarta in der Nähe seines Büros auf der Straße. Sie drückten ihm eine Pistole in die Rippen, warfen ihm eine schwarze Kapuze über den Kopf, drängten ihn in ein Auto und schlugen immer wieder auf ihn ein. Bis zum 3. April hielten die Unbekannten den Anwalt in einer Zelle mit vergitterten Fenstern fest. Tag und Nacht holten sie den schmächtigen Mann zum Verhör. Sie quälten ihn mit elektrischen Stößen, tauchten seinen Kopf unter Wasser und rissen an seinen Gliedern. „Ich war sicher, daß ich sterbe“, erinnert sich Desmon Mahesa, „ich konnte es nicht mehr aushalten.“

Was die Verhörer vor allem wissen wollten: Wie ist die indonesische Opposition organisiert? Wer sind die Führer der demonstrierenden Studenten, und wie koordinieren sie ihre Proteste? Welche Verbindungen bestehen zwischen den zahlreichen Bürgerrechtsgruppen und der Oppositionspolitikerin Megawati Sukarnoputri, die als Vorsitzende der Demokratischen Partei Indonesiens (PDI) vor zwei Jahren durch das Militär gestürzt worden war?

Polizisten und Militärs hatten am Morgen vor der Entführung Desmons das Büro des Rechtshilfe-Institutes durchsucht und einen großen Teil der Papiere mitgehen lassen. In den Räumen arbeiteten nicht nur Desmon und andere Anwälte, sondern hier trafen sich auch oppositionelle Studenten und Mitglieder der linken Demokratischen Volkspartei (PRD) von Budiman Sudjatmiko, der wegen „Subversion“ zu 13 Jahren Haft verurteilt worden war. Die Entführer waren besorgt, ob eine People's- Power-Bewegung die für den 11. März geplante Wiederwahl von Präsident Suharto verhindern könnte.

Aber sie hätten es eigentlich besser wissen müssen. Im März war Suharto noch unbesiegbar: Die Abgeordneten der zum großen Teil vom Präsidenten selbst handverlesenen „Beratenden Volksversammlung“ bestätigten den 76jährigen brav in seinem Amt. Erst zwei Monate später, als die Wirtschaftskrise immer größere Teile der Mittelschicht von Suharto entfremdete und schwere Unruhen das Land erschütterten, mußte Suharto gehen.

Desmon Mahesa brach sein Schweigen am 12. Mai, kurz nachdem Soldaten sechs friedlich demonstrierende Studenten an der Trisakti-Universität von Jakarta erschossen. Ein Leidensgenosse, Pius Lustrilanang, hatte schon einige Tage zuvor vor dem Menschenrechtsausschuß des US-Kongresses ausgesagt.

Für den Menschenrechtler Bambang Widjajanto bestehen wenig Zweifel, daß eine spezielle Einheit der Armee hinter den Entführungen steht: „Die Kidnapper gingen immer nach dem gleichen System vor, auch die Verhöre und Foltermethoden gleichen sich.“ Außerdem gebe es Anhaltspunkte, daß die Gefangenen auf einem Militärgelände eingekerkert waren. Vor ein paar Tagen erhielt Desmon Besuch: Eine Gruppe von Militärpolizisten befragte ihn ihm Auftrag von Armeechef General Wiranto über seine bitteren Erlebnisse. Wiranto will offenkundig den Behauptungen auf den Grund gehen, die Hintermänner seien seine eigenen Leute. Desmon Mahesa und Bürgerrechtler Bambang Widjajanto sind vorsichtig optimistisch: „Wir werden sehen, ob er es ernst meint. Dazu müssen die übrigen Verschwundenen wieder auftauchen und die Verantwortlichen bestraft werden.“

Falls Wiranto die Ergebnisse seiner Untersuchung wirklich veröffentlicht, könnte dies auch für andere Beteiligte unangenehm werden: So bildete zum Beispiel die US-amerikanische Armee nach einem Bericht in der International Herald Tribune vom 28. Mai „bis zuletzt“ indonesische Einheiten aus, die „sich auf Folter und Verschwindenlassen von Dissidenten spezialisieren“.