Militärischer Prunk in Berlin

Heute zelebriert die Bundeswehr wieder ein Gelöbnis außerhalb von Kasernenmauern: Mitten in der Hauptstadt. Zentrale Dienstvorschrift und Grüne sind dagegen  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

Von „Rühes Bundeswehr“ ist oft die Rede. Nun handelt es sich bei der Armee zwar nicht um die Streitkräfte des Verteidigungsministers, sondern um die der deutschen Bevölkerung, aber für die Formulierung gibt es dennoch gute Gründe. Kein Befehlshaber vor Volker Rühe (CDU) hat sich wie er dem Verdacht ausgesetzt, die Bundeswehr für eigene Wahlkampfzwecke zu mißbrauchen – und niemals vorher war dieser Vorwurf sogar öffentlich aus Kreisen des Militärs erhoben worden.

Bis zu 200 Rekrutengelöbnisse sollen in diesem Wahljahr nach Angaben des Verteidigungsministeriums auf öffentlichen Plätzen stattfinden. In anderen Jahren waren es nur ungefähr halb so viele. Aber nicht allein die Zahl, sondern vor allem Zeitpunkt und Umstände der Planung riefen entrüsteten Widerspruch hervor.

Begonnen hatte die Kontroverse im winterlich verschneiten Wildbad Kreuth. Dorthin war Rühe im Januar von der CSU zu ihrer Klausurtagung gebeten worden. Damals muß es für ihn ein schönes Gefühl gewesen sein, endlich einmal wieder inmitten guter Freunde zu sitzen. Zahlreiche Berichte über Vorfälle mit rechtsextremistischem Hintergrund bei den Streitkräften hatten zur Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses geführt und den Minister erheblich unter Druck gebracht. Er ging in die Offensive. Am 13. August, dem Tag des Mauerbaus, wollte er vor dem Roten Rathaus in Berlin ein Rekruten-Gelöbnis abhalten. Dann werde man ja sehen, so der Minister hintersinnig, wer zur Bundeswehr stehe und wer nicht.

Die Absicht war eindeutig: Kritiker der geplanten Veranstaltung sollten als Gegner der Bundeswehr kategorisiert werden und damit an Glaubwürdigkeit auch im Blick auf ihre Zweifel an den Fähigkeiten des Ministers verlieren. Aber der Schuß ging nach hinten los. „Ganz abwegig“ nannte der ehemalige Nato-General Gerd Schmückle das vorgesehene Datum. „Auf dem Rücken junger Bundeswehrsoldaten sollte kein parteitaktischer Streit ausgetragen werden“, mahnte auch Oberst Bernhard Gertz, der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, und warnte vor dem „unmöglichen Termin“.

Besonders scharfer Widerspruch kam vom stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Wolfgang Thierse, der aus der DDR stammt. Er erinnerte Rühe in einem Brief daran, daß an diesem Tag 28 Jahre lang in Ostberlin Aufmärsche der Kampfgruppen stattfanden und fragte: „Soll jetzt die Bundeswehr dieses Erbe antreten, also in der Tradition der Kampfgruppenaufmärsche am 13. August ihrerseits ein militärisches Zeremoniell veranstalten? Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie ernsthaft eine solche politisch-moralische Geschmacklosigkeit begehen wollen!“

Wollen vielleicht schon. Aber politisch durchsetzbar war die Aktion nicht mehr. Nach monatelangem Streit einigte sich Rühe mit Berlins Regierendem Bürgermeister Eberhard Diepgen darauf, das Gelöbnis auf den 10. Juni, also auf morgen, vorzuverlegen. Die grundsätzliche Kontroverse ist damit allerdings nicht beigelegt.

58 Prozent der Bevölkerung sind einer Emnid-Umfrage zufolge der Meinung, Rekrutengelöbnisse sollten nur in Kasernen stattfinden. Auch in der Zentralen Dienstvorschrift heißt es, „Gelöbnisse sind im Regelfall innerhalb militärischer Anlagen durchzuführen.“

Im Parteienspektrum aber sind nur die Bündnisgrünen entschiedene Gegner von Gelöbnissen auf öffentlichen Plätzen. Früher hatte es auch bei der SPD erheblichen Widerstand gegeben. Die Proteste 1980 in Bremen, die in blutige Straßenschlachten zwischen Polizei und Demonstranten mündeten, wurden von der lokalen SPD mitgetragen. Inzwischen aber findet der Bonner Fraktionschef Rudolf Scharping: „Die Bundeswehr braucht sich nicht hinter Kasernenmauern zu verstecken.“

Die Abgeordnete Angelika Beer von den Grünen sieht dagegen in Gelöbnissen außerhalb der Kaserne einen Bestandteil der „Militarisierung der Gesellschaft“. Parteichef Jürgen Trittin meint, es sei „nicht nötig, in einer zuvilen Gesellschaft das Militär prunkhaft zur Schau zu stellen“. Der Widerspruch des politischen Gegners kommt prompt, auch gelegentlich mit spezieller Logik: Wer „die Bundeswehr hinter den Kasernenmauern in Quarantäne schicken will“, so Christian Schmidt (CSU), betreibe „just die Militarisierung, die er anderen vorwirft“.

Volker Rühe meint, ein Gelöbnis in der Öffentlichkeit „gibt den Soldaten für ihren schwierigen Auftrag Rückhalt, auf den sie auch Anspruch haben, denn sie stehen notfalls mit ihrem Leben für unser aller Schutz ein.“ Tun das nicht auch Polizisten und Feuerwehrleute – ganz ohne Gepränge? Und woher beziehen eigentlich Soldaten in den USA und Großbritannien ihren Rückhalt? Die leisten ihren Eid immer in militärischen Anlagen ab.