Kein Bild nirgends – Kohl unter Verdacht

■ Beim Zusammentreffen zwischen Jelzin / Schröder wurden Fernsehen und Fotografen ausgeladen

Bonn (taz) – Die Beweislage ist schwierig. Hat der Bundeskanzler dafür gesorgt, daß Fotografen und Fernsehjournalisten vom Treffen des russischen Präsidenten Boris Jelzin mit dem SPD-Kanzlerkandidaten ausgeschlossen wurden, oder nicht? Die SPD meint ja. Das Bundespresseamt weist den Vorwurf hingegen zurück. Schließlich habe allein die russische Seite Hausrecht gehabt.

Der Vorgang war ohne Frage ungewöhnlich. Fernsehleute, die schon lange dabei sind, können sich nicht an einen ähnlichen Fall erinnern. Bis Montag abend schien alles klar: Ausgewählte Fernsehteams sowie Fotografen dürfen am Dienstag morgen gegen acht Uhr beim Zusammentreffen von Boris Jelzin und Gerhard Schröder im Gästehaus der Bundesregierung auf dem Petersberg dabeisein. Allein die ARD hat 18 Mitarbeiter mobilisiert. Am Montag um 22.45 Uhr dann die Absage. Zuvor hatten sich Bundeskanzler Kohl und Jelzin zum Abendessen getroffen.

SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping machte die Bundesregierung für die Absage des Fototermins verantwortlich: Daß sie versuche, die öffentliche Aufmerksamkeit einzuschränken, sei ein Zeichen von Nervosität. Fernsehjournalisten berichten, die russische Seite habe „durchsickern lassen“, Kohl habe den russischen Präsidenten zur Absage des Pressetermins bewogen. Jelzin selbst antwortete später vor der Presse auf die Frage nach der Absage, er habe sich nicht in den Wahlkampf einmischen wollen. Möglicherweise hat er sich nun erst recht eingemischt.

Gerüchte machen die Runde: Angeblich soll sich Jelzin sogar bei Kohl für die Ansetzung des Pressetermins entschuldigt haben. Ein anderes Gerücht besagt, Jelzin habe den Termin abgesagt, um mehr Ruhe zu haben. Der Pressetroß, darunter die Techniker, die schon Stunden vorher anreisten, soll sich nämlich ausgerechnet unter seinem Fenster postiert haben.

Die SPD-Delegation wurde von der Absage des Pressetermins erst gestern morgen am Ort des Geschehens informiert. Ein Sprecher berichtet, der russische Regierungssprecher habe den Grund für die Ausladung selbst nicht gewußt. Schon beim Clinton-Besuch in Deutschland durften keine Bilder vom Treffen Schröders mit dem amerikanischen Präsidenten gemacht werden. Damals war die Bildpresse aber gar nicht erst eingeladen worden. Gerüchteweise soll Kohl dafür gesorgt haben.

SPD-Kanzlerkandidat Schröder nahm es gestern locker: Die Organisatoren „oder wer immer dafür verantwortlich ist“ hätten wohl seiner bekannten PR-Scheu Rechnung getragen. Markus Franz