Träume und Triebe

Pornos als Erfüllung, Pornos als Verhängnis: Jochen Hicks Gay-Doku Sex/Life In L.A. hat in Hamburg Premiere  ■ Von Christian Buß

Klar, wer nur für die Kamera lebt, läßt sich von der Kamera nicht wirklich stören. Nie und nirgendwo. Fotomodell Tony Ward befriedigt sich in seiner Wanne seelenruhig selbst, weil er so angeblich bestens Streß abbauen kann. Der mit Preisen überhäufte Pornostar Matt Bradshaw hingegen, der es ebenfalls gewohnt ist, bei den intimsten Verrichtungen eine Kamera um sich zu haben, verliert in einem ganz unpassenden Augenblick die Kontrolle: Er kichert, obwohl er gerade in schwerem Biker-Look auf dem Weg zu einem Leder-Dreh ist. Lachen ist da eigentlich streng verboten.

Für Sex/Life In L.A. hat sich Jochen Hick ins schwule Los Angeles begeben, einen Ort, der den Dokumentaristen vor eine besonders heikle Aufgabe stellt. Weil in der Gay Community die Inszenierung längst authentischer Ausdruck ist, darf die Inszenierung nicht durchbrochen werden, um zu so etwas wie eben authentischem Ausdruck zu kommen. Anders gesagt: Wie soll man jemanden vorführen, der sich nur allzu gerne selbst vorführt. Der Hamburger Regisseur, der beim Masturbieren seiner Helden schon mal für einen Augenblick feixend im Badezimmerspiegel erscheint, geht kaum auf Distanz. Das wird man ihm vorwerfen, darin liegt aber auch die Stärke seines Films. In einem Umfeld, in dem sich jeder seine eigene Identität erfindet, kann es schwerlich darum gehen, Biographien zu verifizieren oder zu falsifizieren, aber durch die Verknüpfungen der unterschiedlichen echten oder falschen Biographien läßt sich analytische Stärke beweisen. Und es ist ein Verdienst, daß Hick in seiner vielschichtigen Studie den Santa Monica Boulevard, um dem sich das schwule Leben von L.A. abspielt, als irgendwie ganz normale Straße erscheinen läßt. Das ist kein Boulevard der Dämmerung und auch kein Tor zum Himmel.

Neun Leute porträtiert Jochen Hick, das sind neun Schicksale. Da ist zum Beispiel John Garwood, der unverhofft ins Porno-Geschäft gerutscht ist, dann aber beinahe in einem Strudel aus Drogen und Sex untergegangen wäre: „Mit einem Amphetamin namens ,Crystal' kannst du tagelang durch die Gegend laufen und Sex haben. Du kriegst aber keinen Orgasmus, irgendwann brichst du schließlich zusammen.“ Und da ist sein Kollege Matt Bradshaw, der selbstbewußt sagt: „Ich bin gesegnet. Mit Penis und Persönlichkeit.“ Porno als Verhängnis, Porno als Erfüllung. Hick schneidet diese beiden unterschiedlichen Schicksale nicht gegen, das wäre auch zu einfach, aber indem er den Menschen dahinter reichlich Platz einräumt zur Beichte oder zur Inszenierung (was hier schon mal dasselbe sein kann), gewährt er dem Zuschauer die Möglichkeit, sich ein eigenes Bild zu machen. Ja, das geht, und der Weg dahin ist so amüsant wie anrührend: Der Betonklotz Cole Tucker etwa packt irgendwann seine Hausapotheke aus. Hier ein Döschen mit Proteinen, da ein obskures Potenzmittel. Kurz zuvor haben wir erfahren, daß der ehemalige Börsenmakler seit 13 Jahren HIV-positiv ist, aber nach langer Verzweiflung seine Erfüllung als Pornodarsteller gefunden hat. Einmal sieht man ihn, wie er sein Team nach einem anstrengenden Dreh in den Schlaf streichelt.

So unterschiedlich die Charaktere der Gay Community sind, alle setzen auf das gleiche Kapital: das des Körpers. Und wo Kapital existiert, gibt es auch Leute, die mit ihm reich werden. Hick betreibt keine dezidierte Analyse der ökonomischen Verhältnisse, zeigt aber Gewinner und Verlierer dieses Systems aus Trieb und Traum. David zum Beispiel steht den ganzen Tag am Boulevard und hofft, irgendwann einmal als Modell für Unterhosen entdeckt zu werden. Aber am Ende wartet er immer noch auf einen Kunden. Der Fotograf Rick Castro holt sich indes die Jungs vom Boulevard in sein Atelier und schwärmt: „Sie verkörpern etwas, was in Amerika längst verlorengegangen ist. Die Stricher sind Nomaden.“ Er akkumuliert das Kapital fremder Körper, indem er sie als Kunst zur Ware macht. Genau das tut Jochen Hick in Sex/Life In L.A. nicht: Bei ihm treten alle autonom als Darsteller der eigenen Ängste und Sehnsüchte auf – zum ästhetischen Studienobjekt verkommt hier niemand.

Premiere im Alabama in Anwesenheit des Regisseurs: Do, 11. Juni, 20.15 Uhr. Do, 11. bis Mi, 17. Juni: 22.30 Uhr, Alabama. Do, 11. bis Mi, 17. Juni, 22.45 Uhr; Do, 11. bis So, 14. Juni, 15.15 Uhr, Abaton