Sieht toll aus, der Raum

Bohrlöcher im White Cube: Die Foto-Installation von Isa Genzken in der INIT-Kunst-Halle  ■ Von Brigitte Werneburg

Wie ein Tattoo sitzt das schmale Band aus dunklen Flecken auf der weißen Farbhaut der Wände. Und ritzt sich in die Makellosigkeit der Moderne ein, von der die weiße Wand selbst in einem aufgegebenen ehemaligen Supermarkt noch spricht. In einer jener großen, flachen Kisten, in denen das flirrende Neonlicht die Farbe laut, blendend, plastisch macht. Es gibt dezenteres Weiß. Die Moderne ist hier schon bißchen herunter- und dabei durchaus zu sich selbst gekommen. Sieht toll aus, der Raum, der jetzt als Ausstellungshalle dient, denkt man. Und daß es schade ist, wenn die INIT-Kunst- Halle Berlin wieder verschwunden sein wird. Warum eigentlich darf alles, was Stil hat, was eine gewisse, durchaus zweifelhafte Größe hat, in Berlin nur temporär sein?

Die dunklen Flecken, stellt sich in der Nahsicht heraus, sind Fotografien. Kleine schwarzweiße Bildchen, auf dünnes Papier gedruckt. Isa Genzken hat sie aus dem Wochenmagazin Spiegel ausgeschnitten und auf Papier geklebt. 1991, als der Spiegel noch nicht bunt, noch nicht in den Fokus neuer Designeraktivitäten geraten war.

Daß die Wände – historisch gesehen – exakt mit dem Siegeszug der Fotografie in den 20er Jahren weiß wurden, kommt einem in den Sinn. Die neuen Häuser und spartanischen Wohnungen sahen damals auf den Zeitschriftenfotos verdammt gut aus. Mindestens so gut wie die schneebedeckten Alpen. Die just zu dieser Zeit ebenfalls ihren großen Hype hatten und die Massen in die Kinos zogen: Weiß, das ist erhaben, doch es ist säkular. Die schneeweißen Gipfel sind ein Mythos, aber man rutscht auf Skiern auf ihm rum. Weiß ist sublim, rein. Es läßt sich ein Barnett Newman („The Sublime is Now“) drauf hängen, und trotzdem darf man neben ihm wohnen.

Isa Genzken, 1948 in Bad Oldesloe geboren, ist vor allem als Bildhauerin bekannt geworden. Man kann annehmen, daß sie ziemlich genau weiß, was sie tut, wenn sie in jene weiße Wand schwarze Löcher bohrt. Mit Hilfe des Mediums – genauer seiner journalistischen Variante (und das scheint signifikant) –, das diese weiße Wand evozierte, sie als Schönheit berühmt machte und das diese weiße Wand natürlich selbst benötigte, um auf ihr zur gefälligen Geltung zu kommen. Daß Genzkens Fotoschnipsel ohne jede Bildunterschrift auskommen müssen, deutet weiter auf die bildhauerische Absicht. Wie ruiniert man den White Cube, in dem man so tief drinsteckt, wenn man mit Kunst zu tun hat? So weit ist die Installation also von den fragmentarischen, skulpturalen Betonarchitekturen und den weit aufgesperrten Betonfenstern gar nicht entfernt, die Isa Genzken ab Mitte der 80er Jahre vorstellte. Am Ende läßt sich ihr Kunst-Hallen-Display auch als Paraphrase eines alten Doors-Songs benennen – „Break on through to the other side“.

Die Ausblicke, die der Spiegel gewährt, sind in der Auswahl Isa Genzkens übrigens nicht sonderlich signifikant. Das Motiv des Autos ist wohl am auffälligsten: Autoschrottplätze, Unfälle, ausgebrannte Autos nach einem Auffahrunfall auf der Autobahn und jede Menge Trabis, sei es, daß sie auf einer wunderhübschen Allee bei Potsdam dahinhüpfen oder schon in den Müllcontainer befördert wurden. Das könnte man zu einer Motivgruppe zusammenfassen, wie die vielen Bilder, die Menschen aus oftmals völlig undurchschaubaren Gründen am Boden liegend zeigen. Doch insgesamt ist der Eindruck nicht zwingend, die Fotos sollten jenseits ihrer formalen Qualitäten inhaltlich gelesen werden. Am meisten fällt im leeren Raum der INIT-Kunst-Halle ihre geringe Größe ins Auge. Benjamin H.D. Buchloh spricht 1992 in einem Katalogbeitrag zu Isa Genzken davon, daß der Verlust an realem Raum und öffentlicher, sozialer Interaktion, der im White Cube bemerkbar wurde, die Künstler zu immer größeren Formaten zwang. Könnte das äußerst bescheidene Format im Umkehrschluß nun als die Anmaßung gelesen werden, der Durchbruch der Kunst in die Welt alltäglichen Streits und alltäglicher Verhandlung und Versöhnung sei gelungen? Oder kann der Spiegel etwas, was die Kunst nicht kann? Wird der White Cube hier brüchig?

Isa Genzken hat sich schon in den 70er Jahren mit Fotografie beschäftigt. Ungefähr zu gleichen Zeit, als sich Richard Prince die Marlboro-Werbung aneignete, fotografierte Genzken Werbeseiten für Hi-Fi-Geräte ab, wobei sie alle Grauwerte herausfilterte. Daß die Spiegel-Arbeit an diesen 70er- Jahre-Diskurs um den Status der Fotografie in der Kunst anknüpft, scheint eher zweifelhaft. Ist der Schritt von der Aneignung zur völlig manipulationsfreien Auswahl tatsächlich so bedeutsam? Käme er zeitlich nicht eher ungelegen, etwas spät? Man müßte dann an eine künstlerische Verzweiflungstat denken, doch dazu ist die Ausstellung fast zu schön; nein, sie ist schön, forget about media theory.

Bis 12.7., Di.–So. 12–18 Uhr, Chausseestraße 119/120