Vom Häuslebauer zum Sozialfall

■ Die Zahl der Zwangsversteigerungen von Häusern zahlungsunfähiger Eigenheimbesitzer hat sich fast verdoppelt. 2.644 Fälle waren es im vergangenen Jahr. Schuldnerberater sehen einen der Hauptgründe in steigend

Im Amtsgericht Charlottenburg ist ein ganzer Treppenaufgang damit tapeziert: Terminankündigungen für Zwangsversteigerungen von Häusern und Eigentumswohnungen. Bis Sommer 1999 sind schon alle Verhandlungstage ausgebucht. Und in den Wochenendausgaben der Tageszeitungen finden sich seitenweise Angebote für den erzwungenen Häuserverkauf.

Im vergangenen Jahr hat sich nach Angaben der Justizverwaltung die Zahl der Zwangsversteigerungen fast verdoppelt. 2.644mal mußten die Amtsgerichte auf Antrag der Gläubigerbank ein Eigenheim zum Kauf anpreisen – meist unter Wert. 1996 waren es erst 1.450 Zwangsverkäufe, zwei Jahre zuvor gar nur 1.090.

Eine wesentliche Ursache sieht der Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung, Martin Leinweber, in „plötzlicher Arbeitslosigkeit“. Die Finanzierungskonzepte für die Häuser hätten zwar einstmals auf sicherer Basis gestanden, jedoch nur unter der Voraussetzung gesicherter Arbeitsverhältnisse. Die Schuldnerberatung hat vor allem mit Opfern des Baubooms nach der Wiedervereinigung zu tun, die sich den Traum vom eigenen Haus im Umland erfüllen wollten. Damals waren die heutige Wirtschaftskrise und Erwerbslosigkeit noch nicht absehbar. Einige seiner KlientInnen hätten sich noch zeitweise mit ABM-Stellen oder ähnlichem über Wasser halten können. Als diese ausliefen, habe sich das in einem sprunghaften Anstieg der Beratungsfälle auch von EigenheimbesitzerInnen bemerkbar gemacht.

Die landeseigene Investitionsbank Berlin (IBB), die öffentliche Bauförderung vergibt, hat vor allem mit der Zahlungsunfähigkeit von Bauherren zu tun, die in den 80er Jahren bauten. Damals gab die Politik Anreize für den Eigenheimbau, damit nicht noch mehr SteuerzahlerInnen der Stadt den Rücken kehrten. Oft habe man nur fünf Prozent Eigenkapital verlangt, erklärt IBB-Mitarbeiter Gunter Spang. Resultat: Zinsen und Tilgung fallen noch heute sehr hoch aus, was einer steigenden Zahl von Kreditnehmern in Verbindung mit persönlichen Schicksalsschlägen wie Scheidung und Arbeitslosigkeit allmählich den finanziellen Hahn abdrehe. Wer heute sein Haus verkaufen muß, hat oftmals noch Jahrzehnte den Buckel voller Schulden.

„Im Schnitt bekommt der ehemalige Eigentümer bei der Zwangsversteigerung 300.000 Mark weniger, als ihn das Gebäude gekostet hat“, schätzt Martin Leinweber. IBB-Mitarbeiter Spang bestätigt die Tendenz: „Der Verkauf vor Gericht bringt oft 20 Prozent weniger als die Bausumme.“

Nach gegenwärtigem Recht können die unglücklichen Häuslebauer quasi ihr ganzes Leben lang gepfändet werden. Das wird sich ab Januar 1999 mit dem neuen Insolvenzrecht ändern. Dann kann unter bestimmten Bedingungen nach sieben Jahren die Schuld erlassen werden. Nach Schätzungen der Justizverwaltung könnten rund 100.000 überschuldete Haushalte davon profitieren. Hannes Koch