Ein gutes Blatt muß man erkennen

■ Filmemachen ohne Filmförderung – geht das? Die Hamburger Wüste Filmproduktion probiert's

Fatih Akin mußte sich entscheiden: Behält er seine Haare, arbeitet ein paar Tage als Schauspieler und verdient mehrere tausend Mark? Oder läßt er sich eine Glatze schneiden? Die nämlich wäre für die Rolle in einem anderen Film notwendig, bei dem es nichts zu verdienen gibt. Dafür ist es sein Film: Akin hat das Drehbuch geschrieben, führt Regie und spielt die Hauptrolle. Ohne zu zögern, entschied er sich für die Glatze.

Etwa eineinhalb Jahre ist es her, daß Fatih Akin mit „einer Art Drehbuch“ bei der Wüste-Filmproduktion auftauchte. Damals ging er noch zur Schule. Andere Produktionsfirmen hatten ihn abgewiesen, hatten sein Skript, das sich um formale Konventionen wenig kümmerte, wahrscheinlich nicht einmal gelesen. Aber mit Ralph Schwingel traf er auf einen Produzenten, der sich als „Entdecker und Abenteurer“ versteht und die „bedingungslose Neugier“ auf Autoren und ihre Stoffe für seine wichtigste Ressource hält.

Gemeinsam mit Lars Becker und Stefan Schubert gründete Schwingel vor sechs Jahren die Wüste-Film und versuchte sich anfangs auch als Autor. Dabei entstand der Kurzfilm Böse Mine. Nach und nach bildete sich unter den drei Teilhabern jedoch eine Arbeitsteilung heraus: Schubert erwies sich als fähiger Geschäftsführer, Becker verlegte sich aufs Inszenieren (Afrika um die Ecke, Schattenboxer, Bunte Hunde), und Schwingel konzentrierte sich auf die Suche nach Stoffen und Talenten.

Finanziert wurden die Filmprojekte hauptsächlich mit Geldern der Filmförderung und des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Der Preis für dieses relativ risikolose Arbeiten war eine große Schwerfälligkeit: „Du reichst dein Drehbuch ein, wartest. Es wird abgelehnt. Du reichst es noch mal ein. Wieder abgelehnt. Jetzt fängst du an zu zweifeln: Vielleicht taugt es doch nichts?“ Etliche Monate konnten so ins Land gehen, in denen der Stoff Staub ansetzte und der Elan der Filmemacher allmählich verpuffte. Wie viele hoffnungsvolle Talente auf diese Weise entmutigt wurden, weiß niemand.

Ralph Schwingel hatte auf diese Arbeitsweise immer weniger Lust. Ob er sich jedoch aus eigener Kraft davon hätte lösen können, bezweifelt er. Als die kulturelle Filmförderung in Hamburg umgestellt wurde und zu den Bearbeitungszeiten der Förderungsanträge noch die Ungewißheit hinzukam, wann und zu welchen Bedingungen überhaupt wieder Gelder beantragt werden können, fiel ihm der Entschluß leichter: Den nächsten Film wollte er auf eigenes Risiko machen.

Das Filmemachen hat für Schwingel ohnehin eine starke spielerische Komponente: „Du hast mit jedem Film die Chance, reich zu werden.“ Ob ein Film gelingt und vom Publikum angenommen wird, ist letztlich Glückssache. Durch geschicktes Ausspiel läßt sich das Glück ein Stück weit beeinflussen. Zuallererst kommt es aber darauf an, ein gutes Blatt überhaupt zu erkennen.

Fatih Akin ist für Schwingel so eine Trumpfkarte, die einen höheren Einsatz rechtfertigt. Die Investition privater Gelder in Filmproduktionen hatte es bei der Wüste bis dahin jedoch nicht gegeben. Die Kollegen hatten Zweifel an dieser Vorgehensweise. So entschloß sich Schwingel, die gemeinsame Firma zu verlassen, um in Zukunft seine eigene Filmproduktion zu betreiben.

Der erste Film, eine kleine Liebesgeschichte mit dem Titel Sensin – Du bist es, war innerhalb kürzester Zeit abgedreht. In der Endfassung wird er etwa zehn Minuten dauern. Ob man mit einem Kurzfilm Geld verdienen kann? „Natürlich“, sagt Schwingel. „Mit einem guten Kurzfilm kannst du in die Tagesthemen kommen oder einen Oscar gewinnen.“ In erster Linie geht es aber darum, eine Arbeitsprobe anzufertigen, eine Art filmischer Visitenkarte, die helfen soll, das Geld für den großen, abendfüllenden Film aufzutreiben. Der wird die Geschichte dreier Freunde in Hamburg erzählen, ähnlich, wie Martin Scorsese es in Hexenkessel für New York getan hat. „Das wir ein Hammer“, schwärmt Schwingel und strahlt eine Freude am Filmemachen aus, die immer noch viel zu selten den Weg bis auf die Kinoleinwände schafft.

Damit überzeugte er zu guter Letzt auch seine früheren Mitstreiter. Von der eigenen Produktionsfirma ist keine Rede mehr. Dafür wird es in der Wüste zukünftig mehr interne Kommunikation, eine klarere Arbeitsteilung und eine stärkere Orientierung auf das Publikum geben. Wenn sie damit Erfolg haben, könnte sich die Umstellung der Hamburger Filmförderung eines Tages rückblickend als Segen entpuppen. Hans-Arthur Marsiske