Ein Hundehimmel voller Geigen

■ Unglaublich vertraute Musik, ins Seltsame entrückt: Über Ernst Bader, der einst Marlene Dietrich Baumkuchen schickte und inzwischen 81 Jahre alt ist

Schwül und stickig ist die Luft im kleinen Vortragssaal des Altenheims Scheel in Norderstedt. Selbst das Zuhören bedeutet an einem solchen Nachmittag eine Strapaze für die alten Menschen, aber dennoch hat sich eine beträchtliche Anzahl von ihnen um Ernst Bader und sein Klavier versammelt. Seit genau einem Jahr lebt der 81jährige jetzt hier und versucht unermüdlich, die Heimgenossen mit seiner Vitalität anzustecken. Über Hunde will er diesmal singen und erzählen und berichtet auch gleich von den zahlreichen neuen Hundebekanntschaften, die er mittlerweile in der Umgebung des Heimes geschlossen hat. Einen eigenen Vierbeiner besitzt er nicht mehr, aber seine alten Lebensgenossen Tapsi, Sherry und Maxi sind immer noch präsent; nicht nur in den kleinen Geschichten, die er teils frei erzählt, teils vorliest, sondern auch als Plüschtier-Ahnengalerie, die glasäugig vom Klavier herabblickt.

Diese liebevolle Verbundenheit kommt auch in den Hundeliedern zum Ausdruck, mit denen Bader sein Programm auflockert. „Mein Dackel und ich“, „Ich möchte in den Hundehimmel kommen“ und andere mehr, allesamt Stücke aus seiner neuen CD, auf der er sich, nachdem er jahrzehntelang Lieder für andere geschrieben hat, zum ersten Mal selbst als Sänger präsentiert. Eigentlich, so Bader, habe er sich ja schon vor 25 Jahren zur Ruhe gesetzt, aber wenn ihm ein Brillant vor die Füße falle, dann hebe er ihn natürlich auf.

Auf seiner CD hat sich Bader dabei der Unterstützung der Interpreten versichert, denen er die Lieder auf den Leib komponiert und getextet hat. Alte Freunde sind dabei wie Ilse Werner oder Freddy, und diese enge persönliche Beziehung zum Interpreten hat Bader seit je zu seinen unzähligen Schlagern inspiriert. Die symbiotische Beziehung zu den charismatischen Chansongrößen von Aznavour über Piaf bis hin zu Marlene Dietrich prägt auch die Fülle der Erinnerungen, von denen der alte Mann schier überquillt: Wie er vergeblich versucht hat, der Piaf Deutsch beizubringen, wie er Marlene jährlich zu Weihnachten ihren geliebten Baumkuchen geschickt hat, wie er mit Lale Andersen beim Wettbewerb in Cannes durchfiel – Bader könnte den ganzen Tag erzählen. Und jedem von ihnen hat er Lieder geschrieben, die ihr Charakterbild in der Öffentlichkeit bis heute bestimmen: Der jugendliche Schwung der Valente, Freddys kumpelhafte Herzlichkeit, die schlichte Innigkeit von Margot Eskens, schmerzlich vermißt in einer Zeit, in der farblose Abziehbilder das Schlagergenre dominieren.

Heute hört Bader vor allem Klassik Radio, das dröhnige Bum-Bum der neueren Musik schrecke ihn nur ab. Im Weißen Rößl im Schmidts Tivoli war er neulich, das war richtige Musik, da konnte er alle Stücke mitsingen, da war er schon bei der Premiere 1930 dabei. Das Interesse am anderen Menschen, das aus jedem seiner Lieder spricht, prägt auch die zweite Seite des Ernst Bader: Fast alles Geld, das ihm noch immer durch Tantiemen zufließt (allein „Tulpen aus Amsterdam“ wirft jährlich noch etwa 35.000 Mark ab), verschenkt er wieder und wendet es an, um Hilfsbedürftige zu unterstützen.

„Eigentum ist Diebstahl, solange man nicht teilt“, dieses Motto setzt der überzeugte Sozialist und Vegetarier im großen und kleinen in die Tat um. Sei es die DDR, die er früher mit großzügigen Spenden bedacht hat, oder seine verarmte alte Produzentin, die einen regelmäßigen Wechsel von ihm bezieht, Bader praktiziert umfassende Nächstenliebe, genährt aus philantropischem Idealismus und christlichem Glauben. In trauter Eintracht hängen die Bilder von Jesus, Lale Andersen und seiner verstorbenen Hunde nebeneinander an den Wänden des kleinen Zimmers, das er im Heim bewohnt. Sauwohl fühle er sich hier, verkündet Bader strahlend. Er habe ja alles, was er brauche, meint er augenzwinkernd und schenkt sich, als Belohnung für den gelungenen Vortragsnachmittag, einen kleinen Wodka ein. Nicht allerdings, ohne auch seiner Zimmernachbarin ihren Jägermeister zukommen zu lassen.

Jörg Königsdorf