: Spanplatten inmitten weißer Meere
■ Im Alten Güterbahnhof laufen die letzten Vorbereitungen für die Ausstellung „Untitled – Kunstfrühling '98“
Mehrere Kilometer Spanplatten, ein Meer weißer Farbe und ungezählte 1-kg-Päckchen voller Nägel und Schrauben – ist es das, was die Kunst wirklich braucht, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen?
Natürlich, denn am Anfang spektakulärer Kunstschauen stehen immer jene verlockenden, die Neugierde weckenden Superlative: Die weltberühmtesten KünstlerInnen, „Wer mit wem schlief“-Gerüchte oder halt, wie im vorliegenden Fall, die ehrfurchteinflößenden Höchstleistungen der HandwerkerInnenzunft. Die nämlich verwandelten in nur 14 Tagen zäher Arbeit zwei schnöde, schmutzige, mit löchrigem Dach versehene Bahnhofshallen in eine gigantische, regenabweisende Ausstellungfläche für die bremenberühmtesten KünstlerInnen. Am nächsten Wochenende, fast parallel zum Sommeranfang, startet der Kunstfrühling '98 mit der Präsentation der Werke von 48 Menschen, die man nach Ansicht des Kunstfrühlingskurators Casten Ahrens kennen muß, um sich ein Bild von den zeitgenössischen Kunstpositionen in Bremen machen zu können.
Aber ehe diese Leistungsschau am 19. Juni öffnet, mußten die Angestellten der Bremer Arbeit- und Jugendwerkstätten Spanplatte an Spanplatte an Spanplatte nageln – insgesamt 2.000 qm Holzreste, im klassischen Weiß gestrichen. 500 Meter Wandfläche werden nun von Neonröhren erleuchtet und erlauben es den KünstlerInnen in den nächsten Tagen, die beiden zusammen 2.500 Quadratmeter großen alten Güterbahnhofshallen mit Bildern, Videoprojektionen, Schattenspielen und Bierzapfanlageninstallationen in Beschlag zu nehmen.
Hans Müller, Vorsitzender des Veranstalters „Bremer Verband bildender KünstlerInnen“ (bbk), trauert den Messehallen nicht mehr nach. Dort nämlich sollte der Kunstfrühling ursprünglich stattfinden, was aber an Mietforderungen „von 400.000 Mark und aufwärts scheiterte“. Im Alten Güterbahnhof zahlt der bbk nun 800 Mark pro Woche „für zwei wunderbare alte Hallen“. Hinzu kommen Renovierungskosten, die aber laut Müller in der Summe „deutlich unter den Messehallenforderungen liegen werden“. Am Ende des dreiwöchigen Frühlingserwachens verschwindet die Kunst aus dem Bahnhof, und der Kommerz in Form der Firma „Bahntrans“ zieht dann wieder ein. Kunstherbst sozusagen. zott/Foto: Karsten Joost
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen