Wand und Boden
: Nicht ganz wie zu Hause

■ Kunst in Berlin jetzt: Wolf Vostell, Tatjana Fell, Ceal Floyer, Emilio López-Menchero

Der Termin steht fest. Die Retrospektive mit Arbeiten von Wolf Vostell wird erst 2001 stattfinden. Auch durch Vostells Tod im April hat sich die Kulturverwaltung bei der Planung nicht umstimmen lassen – Museen sind leider ein sehr langsamer Apparat. Nun zeigt die Galerie Rafael Vostell eine kurzerhand zusammengestellte Werkübersicht als Hommage an den Vater. Die Auswahl beschränkt sich auf die letzten zehn Jahre und reicht von Entwürfen für den Skulpturenboulevard 1987 bis zu Tellern, die der 1932 in Leverkusen geborene Fluxus-Künstler noch im Krankenhaus bemalt hatte. Dabei ist es erstaunlich, wie wenig sich Vostell in seinem Spätwerk von den politischen Themen gelöst hat und zugleich doch die Auseinandersetzung mit Krieg, Medien etc. in den Kontext anderer Künstlergrößen des 20. Jahrhunderts stellen konnte. So ist seine „Liegende in der Nacht“ von 1997 eine direkte Umsetzung Picassoscher Akte, allerdings um die gewisse Vostell- Note ergänzt: Über die Leinwand sind Eisenplatten verteilt, die den Bildraum physisch greifbar verkeilen. Gegenüber hängt das großformatige „Schule von Athen“, in dessen Vordergrund expressive Körperteile an Szenarien Francis Bacons erinnern. Daß es sich dennoch um eine typische Arbeit von Wolf Vostell handelt, zeigt sich an dem unter die Farbe gemischten Beton, der mal wie ein Damm das Geschehen bremst, mal abstrakte graue Ströme bildet. Bei aller Trauerarbeit (KZs, Diktaturen, Bomberjets und Bosnienkrieg) bleibt die Ausführung leichthändig. Wenn Vostell für „Sara-Jevo“ 1992/93 nicht Leinwand, sondern Papier benutzt, wandelt sich auch die Schwere seiner Materialien, zähflüssiger Beton wird durch transparente Modellierpaste ersetzt.

Neben der Malerei dominieren drei Installationen. Im Schaufenster der Galerie steht die „Berlinerin“, eine klassisch geformte Bronzefigur mit eingebautem Fernsehmonitor, und „Ritz“ zeigt eine ziemlich deftige Assemblage aus Strapsen, Frauen-Torso und TV als grollenden Kommentar zum Voyeurismus der Medien. Daß Kunst für Vostell als Lehrstück diente, merkt man besonders dem Environment „Fine del Golfo“ von 1991 an. Abgetrennte Gipsfüße, Gasmasken und Geigerzähler liegen in einem Schlauchboot. Von diesem Durcheinander aus wacht eine Videokamera über den vorderen Galerieraum: Immer ist es der Betrachter, auf den die Arbeiten Vostells gerichtet sind. Um nichts anderes ging es bei Fluxus.

Bis 22.8., Mo.–Fr. 11–19, Sa. 11–16 Uhr, Knesebeckstraße 30

Die Fotos in den Leuchtkästen sind weltläufig und banal zugleich. Offenbar hat Tatjana Fell ihre Motive en passant gefunden: In einer Schneiderei sitzen zwei asiatische Frauen und gehen gedankenverloren ihrer Arbeit nach; Männer stehen in einem thailändischen Kaufhaus paralysiert um Haushaltswaren versammelt; und ein mexikanischer Taxifahrer starrt in die Nacht, während er neben seinem Auto auf Kundschaft wartet. Die feinen Unterschiede der Ethnien spielen bei Fell aber keine Rolle, wichtiger sind TV-Geräte, die im Hintergrund erscheinen. Medien als kleinster gemeinsamer Nenner im global play: Alle sehen fern.

Obwohl die ehemalige Sieverding-Schülerin Medien nicht kritisieren will, sind ihre TV-Installationen im Parkhaus Treptow sehr moralisch. Was immer bei Fell aus der Bilderflut auftaucht, ist deformiert und angefressen. Einige Sequenzen aus „Spiel mir das Lied vom Tod“ erscheinen in blauen Negativbildern und werden mit orange eingefärbten Rodeo-Aufnahmen konterkariert. Auf einem zweiten Monitor sieht man den übertrieben roten Mund einer Pro7-Ansagerin in Zeitlupe. Unter dem „Vergrößerungsglas“, als das Fell ihre Arbeit versteht, wirkt der Bildausschnitt obszön. In dieser Verbindung aus Ironie und Trash liegt auch das Unbehagen, das sich in allen fünf TV- Räumen einstellt: Die Distanz, mit der Fell operiert, ist nur eine scheinbare, hinter der sich Noam Chomskys Medienfundamentalismus oder Kants „Kritik der Urteilskraft“ verbirgt. Letztere liegt in einem Fernsehzimmer zum Schmökern aus, außerdem soll sich der Besucher dort bei Chips und Popcorn Videos angucken. Allerdings gibt es nur eine Kassette – mit einem Künstlerfilm. Nicht ganz wie zu Hause.

Bis 4.7., Mi.–So. 15–19 Uhr, Puschkinallee 5

Ceal Floyer spürt mit ihrem Video Geistern nach. Nichts scheint in „Stralauer Platz, Edit“ zu passieren, und doch wird man vor dem vermeintlichen Filmstill einigermaßen nervös. Liegt es an dem blitzschlagartigen Verkehrslärm, der einen auf der Tonspur überholt? Auch. Vor allem aber schimmern seltsame Fahrzeugreste über die kahle graue Häuserfront, den Straßenbeton und das vermanschte Rasengrün.

Floyers Trick ist quasi eine Umkehrung der subliminalen Verführung, wie sie angeblich bei Werbung eingesetzt wird. Statt appetitliche Bilder beizumischen, hat die Londoner Künstlerin jedes Leben aus dem Video entfernt. Vorbeifahrende Autos oder Radfahrer wurden auf Hundertstelsekunden am Computer herausgecuttet. Dafür nimmt man aber eine Art Schatten wahr, Spiegelungen etwa, die in einem bestimmten Winkel noch auf den Fenstern zu sehen sind, während das Auto schon aus dem Blickwinkel der Kamera verschwunden ist. Die Präzision macht die Sache mit der Bewegungslosigkeit noch trostloser.

Während Floyer die Konstruktion der Bilder in den Mittelpunkt ihres Videos stellt, vertraut Emilio López-Menchero auf seine eigentümliche Art, die Dinge zu erzählen. Sein Film „Corredor“ basiert auf einer Performance-ähnlichen Aktion, für die der belgische Künstler, mit einer Kamera bewaffnet, durch ein Hochhaus joggt. Zehn Stockwerke muß er sich nach unten arbeiten und dabei jedesmal einen endlosen Korridor durchqueren. Im vierten Stock wird die Atmung hörbar schwächer, und die Aufnahmen schwirren entsprechend ungelenk an der Decke umher. Der Film endet im Erdgeschoß, vor einer Tür mit der Aufschrift „Gefahr“. Die Hauptarbeit im Künstlerhaus Bethanien besteht indes aus einer Langzeitstudie, für die López- Menchero plateauartige Schuhe fabriziert hat, die in einem Videofilm nun als ideale Körperarchitektur auf öffentlichen Plätzen stehen. Die meisten Menschen gehen an der Chance, „größer zu sein“, eher unbeeindruckt vorbei.

Bis 28.6., Mi.–So. 14–19 Uhr, Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2 Harald Fricke