"Hey! Das war ein Guter!"

■ DFB-Kapitän Jürgen Klinsmann über seinen Wunsch, noch einmal Weltmeister zu werden, über Helmut Kohl, Lothar Matthäus, deutsche Helden und seine Lust auf ein jährliches Treffen mit Uwe, Fritz und Franz

taz: Herr Klinsmann, wenn Oliver Bierhoff bei der WM Gerd Müller wird, sind Sie dann sein Uwe Seeler?

Jürgen Klinsmann: Wie meinen Sie das?

Der hat sich 33jährig bei der WM 1970 aufgeopfert, bis sein jüngerer Kollege Torschützenkönig war.

Dann hätte ich damit keine Probleme. Was ich an Seeler immer bewundert habe, ist seine Art, nie aufzustecken.

Seeler wurde damit zum deutschen Helden. Ihnen wirft man vor, daß Sie zuwenig Tore schießen, obwohl Sie sich, wie Sie sagen, „den Hintern abrennen“.

Das hat sich halt in dieser letzten Phase nicht verkauft. Das ist ganz einfach. Es hat niemanden interessiert, ob ich jetzt gut oder schlecht gespielt habe, sondern nur, ob ich ein Tor erzielt habe. Es hat auch niemanden interessiert, daß Thomas Häßler neun Monate verletzt war in dem Zeitraum, der fast jedes zweite Tor von mir in der Nationalmannschaft vorbereitet hat.

Sie schießen aber weniger Tore als früher.

Ich muß auch nicht mehr um jeden Preis ein Tor schießen. Ich denke, ich bin ruhiger geworden, abgeklärter. Ich renne nicht mehr um jeden Preis auf zwei, drei Leute los, sondern sehe, daß sich eine bessere Chance ergibt, wenn es über zwei, drei Paßstationen geht.

Wie kommt das?

Man hat die Erfahrung, man sagt sich, die Tore schießt du ohnehin. Es geht auch darum, was ich aus meinem Job für die Leute mache, die drum rum spielen. Ich schaue jetzt, daß auch um mich herum alles stimmt.

Es dankt Ihnen aber keiner.

Das stimmt nicht. Bei Bayern München hat tatsächlich niemand davon geredet, daß ich der Spieler war, der die meisten Vorlagen gab. Aber die Leute, auf die es mir ankommt, haben immer gesehen, was ich leiste. Deshalb hatte ich auch nie ein Problem bei Berti Vogts. Der sagte: Ich hab' nichts auszusetzen. Du machst deinen Job, früher oder später kommt das Tor ohnehin wieder.

Solches Vertrauen ist überlebenswichtig?

Wenn eine Spieler-Trainer-Beziehung auf diesem Niveau nicht stimmt, entzieht dir das unheimlich viel Energie. Das ist doch bei jedem so: Ist der Chef ein mieser Typ, ist es schwierig, sein Potential auszuschöpfen.

Sie reden von Trainer Boskov bei Sampdoria Genua?

Viele haben gesagt: Wärst du doch in Genua geblieben. Ich habe gesagt: Nee. Ich mußte in dem Moment entscheiden, in dem der Typ mir ins Gesicht gelogen hat. Kann ich noch mit dem? Ich hab gesagt: Nee, ich hab keinen Bock mehr auf den. Das hab ich ihm am nächsten Tag gesagt.

Ist es nicht naiv, Lügenfreiheit am Arbeitsplatz einzufordern?

Vielleicht. Kann schon sein. Aber ich ging auf mein letztes großes Turnier zu, ich hätte noch ein halbes Jahr mit ihm arbeiten müssen.

Hat Vogts Sie zum Kapitän gemacht, weil Sie denken wie er – oder damit Sie ihm Paroli bieten?

Er weiß, daß ich hie und da eine andere Meinung habe. Er hat den Charakter zu sagen: „Ich hole mir die Meinung der Spieler.“ Dann müssen die auch zu dem stehen, was sie sagen. Und das ist gut so. Wer Freiräume bekommt, muß auch Druck aushalten können. Das war seine wichtigste Lehre aus der WM 94. Dieses Gefühl hat er weitergegeben. Das war der Grundstein für die erfolgreiche EM.

Damals gab es klare Chefs im Team, heute weiß keiner, ob er überhaupt am Montag spielt. Oder sind Sie klüger?

Ich bin klüger, ja. Es stimmt, daß die Hierarchie 1996 klarer definiert war. Aber das definiert sich hier auch eindeutiger mit dem ersten Spiel. Dann gibt's keine Ausreden mehr. Dann muß jeder zeigen, was er drauf hat.

Hatten Sie wie Ihre Kritiker Zweifel, rechtzeitig in Form zu kommen?

Nein. Ich wußte, warum ich meine Probleme hatte, und ich wußte, wie ich mich auf dieses Turnier vorbereiten muß. Das hat sich zum Schluß in Tottenham bestätigt: Wenn ich fit bin, kann ich meine Spielweise zum Tragen bringen. Dann stellt sich normalerweise auch der Erfolg ein.

Wird die WM tatsächlich erfolgreich, könnten Sie gar als vierter Ehrenspielführer des DFB unsterblich werden. Oder wird's Lothar Matthäus?

Das interessiert mich wenig.

Keine Lust auf ein jährliches Treffen mit Fritz, Franz und Uwe?

Natürlich freue ich mich, wenn ich sie sehe. Es ist auch eine gewisse Bewunderung da. Aber ich habe nie in der Vergangenheit gelebt.

Soll der Fußballer Klinsmann nicht ins kollektive Fußballbewußtsein eingehen?

Natürlich hat man den Wunsch, daß die Leute später sagen: Hey, der war ein Guter!

Herr Klinsmann, wollen Sie sagen, daß die Aussicht verlockend für Sie war, mit dem Kollegen Matthäus vier Wochen verbringen zu dürfen...?

Acht Wochen.

Noch besser.

Es ist einfach so, daß der Trainer eine Entscheidung getroffen hat, die zum Wohl der Gemeinschaft ist. Ich habe ihm gesagt: „Trainer, Sie haben die Verantwortung. Sie müssen wissen, wie alles zusammenpaßt.“ Es muß aber ein Gespräch geben.

Das lief dann bestens?

Da wurden Dinge ausgeräumt, daß ich gesagt habe: „Okay, wir können am gemeinsamen Ziel arbeiten.“ Das ist relativ einfach, wenn's um zwei Monate geht.

Es wird doch nicht auch noch mal ein Klubteam mit Klinsmann und Matthäus geben?

Das glaube ich nicht.

Was gibt der Fußball Ihnen nach all den Jahren noch?

Das kommt auf die Konstellation an und auf die Mannschaft. Bei einer WM ist das kein Problem. Die Bedeutung ist viel zu groß. In München gab es schon Momente, wo ich mich gefragt habe: Warum machst du das?

Warum?

In erster Linie, um das Gefühl zu bekommen, das Potential einer Mannschaft auszureizen. Ob das meßbar ist am Erfolg, hängt dann von der Klasse der Mannschaft ab. Als in zum erstenmal bei Tottenham war, wurden wir Siebter. Aber die Mannschaft hat 90 Prozent ihres Potentials rausgeholt. Es war phantastisch.

Sagen wir, alles paßt, aber Sie scheiden im WM-Halbfinale aus. Wären Sie also zufrieden?

Schwer zu sagen. Die WM ist das bedeutendste Turnier der Welt. Selbst wenn wir eine sehr gute WM spielen und fliegen im Halbfinale gegen eine bessere Mannschaft raus, wirst du erst in ein paar Monaten denken: Okay, nicht so schlimm. Aber die ersten Wochen werden furchtbar sein.

Wie ist das, wenn Sie heute an die Vorfälle bei der WM 1994 denken?

Nicht bei der WM, sondern danach wurde das kaputtgemacht. Da ging dann alles in die Brüche. Das ist für mich noch heute das Schlimmste, wenn sie das Spiel gegen Bulgarien zeigen. Da schalte ich vor ein paar Tagen nachts den Fernseher ein, und dann kommt das. Da habe ich sofort wieder ausgeschaltet. Feierabend.

Cesar Luis Menotti hat gesagt, Mannschaften könnten auch im Halbfinale ausscheiden und dennoch groß sein, wenn sie kreativen Fußball gespielt haben.

Aber es würde dennoch ein Beigeschmack bleiben. Denken Sie an das Bild von Uwe Seeler nach dem verlorenen WM-Finale 1966. Da wird in einem immer eine gewisse Bitterkeit sein.

Im Gegensatz zu dem sind Sie längst Weltmeister.

Ja, aber wenn du die Chance hast, das noch mal zu erreichen, dann überlegst du nicht lange. Ich weiß, das ist mein letztes Turnier. Ich möchte unbedingt noch mal diesen Pokal in der Hand halten. Ich möchte das größte Ziel erreichen, das man als Fußballer erreichen kann.

Politologen argwöhnen, wenn der DFB Weltmeister würde, könnten die versöhnten Wähler Kohl womöglich doch noch mal zum Kanzler wählen. Wollen Sie das?

Er hat seine Probleme, wir haben unsere. Wir wollen Weltmeister werden. Interview: Peter Unfried