: Ein Stürmer wie aus dem Computer
■ Marcelo Salas, der teuerste Chilene aller Zeiten, macht mit zwei Toren beim 2:2 gegen Italien das südchilenische Dörfchen Temuco berühmt
Bordeaux (taz) – Erst sein Gegenspieler Fabio Cannavaro, dann eine Hundertschaft Journalisten – Marcelo Salas war am Donnerstag abend in Bordeaux von niemandem zu bremsen. Beim 2:2 gegen Italien schoß der chilenische Stürmer beide Tore, und nach dem Spiel kurvte er, ohne eine Miene zu verziehen, durch die „Mixed Zone“ und ließ die begehrlich auf ihn wartenden Reporter stehen.
José Marcelo Salas Melinao, 23 Jahre jung, bildet mit dem 31jährigen Ivan Zamorano ein „Duo infernale“, das von 32 Toren Chiles in 16 WM-Qualifikationsspielen alleine 23 erzielte, Zamorano 12 und Salas 11. In der Heimat nennen sie ihn „El Matador“, und zur neuen Saison wechselt er von River Plate Buenos Aires zu Lazio Rom, für eine Ablösesumme von 23 Millionen US-Dollar, ein Betrag, der auch nicht annähernd jemals für einen chilenischen Fußballer bezahlt wurde. Geboren wurde er am Heiligabend des Jahres 1974, in Temuco, einer kleinen Stadt im Süden Chiles, wo oft ein kalter Wind pfeift und die Vegetation sich rar gemacht hat auf dem harten Erdboden. Dort schloß der Bub Marcelo zwangsläufig Bekanntschaft mit dem runden Leder, weil der Alltag ohne die Kugel vor Langeweile kaum zu ertragen gewesen wäre. In Temuco, sagt er heute, habe sich sein Charakter gebildet, den er so beschreibt: „Härte, Listigkeit, Zielstrebigkeit.“
In seiner Heimatstadt hat Marcelo Salas auf hartem Lehmboden und zwischen Steinen gekickt. „Ich war schon 16“, sagt er, „als ich erstmals auf Rasen spielte.“ Auch ohne hilfreiches, glattes Grün war er gut genug, daß ihn der Weg hinausführte nach Santiago. Späher des in der chilenischen Hauptstadt populären Klubs Universidad de Chile entdeckten ihn, mit 19 gab Salas sein Debüt in der ersten Mannschaft. Zweimal wurde er Meister, zweimal war er bester Torschütze, und es war Zeit für einen Wechsel nach Argentinien, wohin sich schon eher europäische Spione verirren, auf der Suche nach talentierten Kräften, als in das kleine Chile. Der Wunschklub von Salas war Boca Juniors, aber der dortige Trainer wollte ihn nicht, „weil sich noch niemals ein Chilene in Argentinien durchgesetzt hat“. Es ist kein Unbekannter, der sich da so gewaltig irrte: Carlos Bilardo, mit Argentinien 1986 Weltmeister und 1990 Vize- Weltmeister. Also wechselte Salas im September 1996 zu River Plate und holte mit dem Verein in zwei Jahren drei von vier möglichen Titeln.
Am späten Donnerstagabend hat sich der Mann im Mannschaftshotel „Mercure Pont d'Aquitaine“ in Bordeaux-Lac doch noch sehen lassen. „Die zwei Tore gegen Italien, ein tolles Gefühl“, sagte er, „aber das Turnier hat erst begonnen und soll für uns noch lange dauern.“ Sprach's und war erneut entwischt. Auf einem Couchtisch aber lag eine zerknitterte Zeitung, auf der irgendwer etwas angestrichen hatte. Eine Antwort von Salas auf die Frage, wie er sich den kompletten Stürmer vorstelle. „Die Schnelligkeit von Ronaldo, die Geschicklichkeit von Romario, die Klugheit von Zamorano und die Durchschlagskraft von Batistuta“, sagte er da. Man sollte mit diesen Angaben eine Computersimulation durchführen. Womöglich käme José Marcelo Salas Melinao dabei heraus. Ralf Mittmann
Chile: Tapia – Margas (63. Ramirez), Fuentes, Reyes – Acuna (82. Cornejo), Villarroel, Estay (81. Sierra), Parraguez, Rojas – Salas, Zamorano
Zuschauer: 35.200 (ausverkauft)
Tore: 1:0 Vieri (10.), 1:1 Salas (45.), 1:2 Salas (50.), 2:2 Roberto Baggio (85./Handelfmeter)
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