Besser in den Sattel als aufs weiche Sofa

■ Radeln: Von Ärzten und Krankenkassen empfohlen. Doch manche warnen auch vor Risiken und Nebenwirkungen. Einer gar vor Impotenz

Fahrradfahren ist gesund. Behauptet der Volksmund. Es hilft Streß abbauen, kräftigt Herz und Immunsystem, regt den Blutkreislauf an, reduziert Fettpolster, vertieft die Atmung und verbessert die Gehirntätigkeit. Sagen die Mediziner. Wer radfährt, kann Golfausrüstung und Tennisstunden vergessen. Kein Wunder, daß Radfahren in den letzten Jahren zur beliebtesten Sportart in Deutschland avancierte.

Doch so manche, die seit ihrer Konfirmationszeit nicht mehr auf dem Fahrrad gesessen oder es höchstens mal auf dem Weg zum Biergarten benutzt haben, sehen sich nach verschärftem Wiedereinstieg mit körperlichen Problemen konfrontiert. Vor allem diejenigen, die nur ihren Body stählen und sich kasteien wollen ohne Freude an der Sache, könnten sich mehr als einen Muskelkater einhandeln.

Der untrainierte Freizeitradler sollte sich anfänglich Zeit und Muße nehmen, sich keinesfalls überfordern und sein wöchentliches Pensum langsam steigern. Ein zu hohes Anfangstempo beispielsweise setzt keine notwendigen Trainingsreize, führt zu schneller Ermüdung und bringt infolgedessen auch keine Leistungsanpassung. Eine spürbare Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit erreicht schon, wer zwei- bis dreimal wöchentlich 30 bis 45 Minuten in die Pedale tritt. Bestätigt haben dies wieder einmal Wissenschaftler der Freien Universität Amsterdam. Sie überredeten eine Großgruppe von notorischen Autofahrern, wenigsten dreimal wöchentlich mit dem Rad zur Arbeit zu fahren. Schon nach einem halben Jahr wurden den Probanden bessere Durchblutung und mehr Muskelleistung attestiert.

Doch ist dem Fahrradfahren generell Gesundheitsförderlichkeit zu bescheinigen? Experten wie Allwetterradler bejahen dies weitestgehend (wobei sie kleinere Zwischenfällen wie das unfreiwillige Absteigen über die Lenkstange oder Verkehrsunfälle sicherlich ausklammern).

Einer, der es wissen muß, ist der Bremer Allgemeinmediziner Dr. B. [vollständiger Name der Redaktion bekannt], praktizierender Mountainbiker und Vielradler. Im Durchschnitt fährt er täglich 20 Kilometer und das immerhin schon seit fünf Jahren. „Seither hat mich keine Erkältung mehr gepackt“, erklärt B. „Das Fahrrad ist nicht nur aus gesundheitlichen, sondern auch aus ökologischen Gesichtspunkten als Fortbewegungsmittel unbedingt zu favorisieren“, argumentiert der Mediziner. Und er fügt hinzu: „Eine sinnvoll investierte Zeit. Es bringt sehr viel für diejenigen, die es in schöner Regelmäßigkeit benutzen.“ Fahrradfahren sorge vor allem für eine gute Entlastung des Lendenwirbelbereichs sowie für den gesamten Rücken.

Bei entsprechender Dosierung sei das Radfahren auch auf jeden Fall für untrainierte Leute zu empfehlen. Allerdings sei alles, wie bei den meisten sportlichen Aktivitäten, eine Frage der „richtigen Haltung und des Arbeitsgerätes“. „Der Sattel sollte so hoch sein, daß man mit ausgestreckten Beinen die Pedale durchtritt. Dies ist extrem wichtig, da man ansonsten mit Problemen in den Knien rechnen muß.“

Haltungswechsel lautet zudem die Devise. Wer längere Zeit aufrecht auf seinem Gefährt sitzt, den treffen Fahrbahnunebenheiten direkt ins Mark, genauer gesagt: im Rücken. Aber auch ein extrem nach vorn gebeugter Oberkörper kann Beschwerden in der Halswirbelsäule hervorrufen, denn schließlich muß auch der Schnellste unter den Schnellen ab und an den Kopf heben und gucken, was sich ihm so in den Weg stellen könnte. „Eine Kopfhaltung wie beim Altherren-Brustschwimmen“, nennt B. diese verkrümmte Position. Worauf es ihm ankommt: „Nicht reinhängen wie ein Sack, sondern immer wieder mal aufrichten.“

Empfohlen wird beispielsweise ein Neigungswinkel des Oberkörpers von 45 bis 50 Grad. Bei dieser Sitzposition sollten zwei Drittel des Körpergewichts auf dem Gesäß und ein Drittel auf den Armen lasten. Und B. fügt zu diesem allgemeinen Grundsatz hinzu: „Wer mit verschärftem Tempo in die Pedale tritt, sollte anschließend einige Dehnübungen machen. Sonst gibt es Beschwerden aufgrund von Muskelverkürzungen, die nach vorangegangener Belastung nicht wieder aufgelöst werden.“

Auch Rolf-Peter Sanner, Leiter des Kundenzentrums Öffentlichkeitsarbeit und Gesundheit der AOK Bremen und begeisterter Freizeitradler, schwört aufs Biking wenn man es bewußt betreibe: „Fahrradfahren ist gesünder als laufen oder joggen, sofern man seine Kräfte nicht total überschätzt, bei mäßigem Tempo beginnt und sich langsam steigert. Bänder, Sehnen und Gelenke werden geschont, da das Körpergewicht auf dem Fahrradsattel lastet.“ Nicht zuletzt aufgrund dieser Überzeugung organisierte Sanner acht Jahre lang zusammen mit anderen Verbänden Radwander- Touren, die sich stetigem Zuwachs erfreuten. „Zeitweilig nahmen zwischen April und Oktober bis zu 50.000 Teilnehmer im gesamten norddeutschen Raum am Radwandern teil“, erzählt Sanner. „Vor zwei Jahren kippten dann die Reformen des Herrn Seehofer das Gesundheitsprogramm per Pedale, nachdem es noch einige Jahre zuvor durch den damaligen Amtsinhaber, Norbert Blüm, befürwortet wurde“, berichtet der AOK- Gesundheitsexperte.

Fahrradfahren ist offensichtlich eine sportliche Betätigung, die den meisten Mitmenschen ans Herz beziehungsweise in die Beine gelegt werden kann. Wenn da nicht vor einiger Zeit die Warnung des amerikanischen Urologen Irwin Goldstein für Aufmerksamkeit in den Medien gesorgt hätte. Goldstein riet den Männern, die Finger vom Lenker und mehr noch das Gemächte vom Sattel zu lassen. Der Gebrauch des Fahrrades könne impotent machen und sogar Hodenkrebs zur Folge haben.

Ähnliche Hinweise waren auch schon in deutschen Fachblättern zu lesen. Nervenquetschungen im Intimbereich wurden dort aber zumeist mit falsch eingestellten Sätteln in Verbindung gebracht und allenfalls als temporäres Phänomen dargestellt. Vor zwei Jahren allerdings vermengte sich diese Diskussion mit dem Schicksal des Radprofis Lance Armstrong, der noch 1993 Weltmeister war und danach an Hodenkrebs erkrankt sein soll. Mittlerweile fährt er wieder als Profi in einem amerikanischen Team.

Dr. B. hält die Aussage Goldsteins für eine pure Behauptung ohne Erklärungsmuster. Statistiken zu diesem angeblichen gesundheitlichen Risiko seien ihm nicht bekannt. Radsportler scheint das sowieso nicht zu interessieren. Ein bekannter Spruch in diesen Kreisen: „Radprofis pflegen ihre Sitzfläche besser als ihr Gesicht.“ Hoffentlich auch ihre anderen Teile. Doris Friedrichs