Behutsamer Wahlkampf im Zeichen des Herrn

■ Beim Katholikentag hofft Rot-Grün auf Zuwächse bei ehedem konservativen Christen

Mainz (taz) – Aus einem jahrelangen Glaubenskrieg wurde eine schlichte Meinungsverschiedenheit. „Ich halte die Atomkraft für nicht beherrschbar und lehne sie deshalb ab“, sagte der grüne Fraktionschef im Bundestag, Joschka Fischer. Ebenso trocken erwiderte seine Nachbarin auf dem Podium, Bundesumweltministerin Angela Merkel von der CDU: „Ich halte sie für beherrschbar. Da sind wir gegenteiliger Ansicht.“ Soviel zum politischen Fallout des jüngsten Nuklearskandals auf dem Katholikentag. Weder forderte Fischer den Rücktritt der Ministerin noch eine vehemente Verdammung der Atomindustrie. Denn Polemik vom Podium kommt bei den Diskussionen des Katholikentags nicht an.

Trotz der heißen Phase des Wahlkampfs zum Bundestag haben die Parteien die größten Holzhämmer und die gröbsten Klötze nicht nach Mainz mitgebracht. Das Publikum erwartet Argumente statt Emotionen – und die Politiker freuen sich insgeheim über einen guten Grund, vom gängigen Freund-Feind-Schema abzuweichen und dem politischen Gegner einmal zuzuhören. „Hier ist keine wahlkampffreie Zone“, so Fischer, „aber die Atmosphäre auf einem Kirchentag ist anders.“ Auch Wolfgang Thierse aus dem SPD- Bundesvorstand lehnt den Wahlkampf mit harten Bandagen vor den Christenmenschen ab: „So etwas tut man nicht.“

Die Parteien haben guten Grund, um die Gunst der 27 Millionen Katholiken zu buhlen. Denn anders als in der Vergangenheit bringt den Christdemokraten das hohe C im Namen nicht mehr automatisch die Stimmen der Katholiken. Im Gegenteil: Das Milieu ist zerbröselt, die Katholiken orientieren sich frei unter den Parteien. Mit Christian Bernzen ist ein SPD- Mitglied Vizepräsident des Zentralkomitees der Katholiken (ZdK) – „undenkbar noch vor zwanzig Jahren“, wie der ehemalige SPD-Vorsitzende und Katholik Hans-Jochen Vogel meint. Die Grünen wiederum sind zum erstenmal gern- und vielgesehene Gäste beim Katholikentreffen, sie stehen kurz vor der Aufnahme in das ZdK. Rot-Grün wittert Morgenluft bei den Schwarzen.

„Willy Brandt hat seinen Wahlsieg 1972 errungen, weil er tief ins katholische Lager eingedrungen ist“, erinnert ZdK-Mitglied Thierse. Schröders Suche nach der „neue Mitte“ müsse sich deshalb auch auf diese „weichen“ CDU- Anhänger konzentrieren.

Wie wichtig den Parteien die katholischen Stimmen sind, zeigt ein Blick auf die Teilnehmerliste. Die SPD hat bis auf Gerhard Schröder alles aufgeboten, was Rang und Namen hat – von Scharping und Lafontaine bis Dreßler und Däubler-Gmelin. Die CDU schickt unter anderem Schäuble, Geißler, Blüm und Süssmuth auf die Kanzel. Auffällig abwesend waren die Polemiker unter den Wahlkämpfern: Es fehlten der bayerische Ministerpräsident Stoiber ebenso wie der neue Regierungssprecher Hauser und der CDU-Generalsekretär Hintze.

„Die Verbände laden die christlichen Politiker ein, zu denen sie Verbindung haben“, meint dazu ZdK-Sprecher Theodor Bolzenius. „Deshalb ist die PDS nicht vertreten und der CDU-Arbeitgeberflügel auch nicht.“ Auch die FDP tauchte nur am Rande auf.

Benimmregeln für das Verhalten auf Katholiken- und Kirchentagen gibt es nicht. Dennoch halten sich fast alle Politiker an die ungeschriebene Regel, den Argumenten der Gegenseite zuzuhören und die eigenen Lösungen nicht absolut zu setzen. „Es ist erholsam, mal vor und mit Leuten zu sprechen, die nicht so aggressiv sind“, meint Thierse. „Irgendwie respektieren die Leute das Gastrecht der Kirchen“, meint die grüne Kirchenpolitikerin Christa Nickels. Auch sie empfindet eine gewisse Sehnsucht danach, mit den politischen Gegnern für ein paar Tage so umzugehen, wie es eigentlich zum parlamentarischen Alltag gehören sollte. Das sei durchaus ein Armutszeugnis für den gegenseitigen Respekt unter den Volksvertretern, das gibt sie zu. Gleichzeitig holt der Alltag des Parteienstreits Nickels auch auf dem Katholikentag ein: 90 Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion haben in Bonn einen „Gruppenantrag“ unterschreiben, um den Paragraphen 166 des Strafgesetzbuchs zu verschärfen. Wie von Konservativen auch auf dem Katholikentag gefordert, soll damit die „Gotteslästerung“ unter Strafe gestellt werden: Für die Grüne ein Vorstoß, der „in Wahlkampfzeiten unsachliche Lagerbildung und populistische Äußerungen fördert“. Bernhard Pötter