Verlagerung auf die Schiene blieb Illusion

■ Trotz der Vereinbarungen im EU-Beitrittsvertrag von 1994 hat der Lkw-Transitverkehr durch Tirol erheblich zugenommen

Die Tiroler fühlen sich überrollt. Im Manifest des Vereins „Transitforum Austria-Tirol“, der die Blockade der Brenner-Autobahn organisiert hat, heißt es: „Nicht wir in den engen Gebirgstälern, in unseren durch Jahrhunderte gewachsenen kleinräumigen Strukturen in Landwirtschaft, Gewerbe und Tourismus [...] sind es, die die Unfähigkeit der Verursacher zu korrigieren haben.“ Das müßten schon jene tun, die die fehlende Verkehrspolitik zu verantworten hätten. „Es gibt keine Akzeptanz in der Bevölkerung für Maßnahmen, die von demokratisch nicht legitimierten Zentralisten in Brüssel verordnet werden“, so monieren die Umweltschützer.

Ihre Protestaktion auf der Brenner-Autobahn soll zunächst bewirken, daß die bestehenden Abkommen eingehalten werden. In erster Linie geht es dabei um die Erfüllung der im österreichischen EU- Beitrittsvertrag von 1994 verankerten Ziele:

– die mengenmäßige Beschränkung des Straßengütertransitverkehrs auf Basis des Ausgangsjahres 1991;

– die Reduzierung der Schadstoffbelastung um 60 Prozent innerhalb von 12 Jahren;

– die Umsetzung der „Kostenwahrheit“ durch verursachergerechte Anlastung der Kosten des Straßengüterverkehrs;

– die Verlagerung des Lkw-Transitverkehrs auf die Schiene.

Die Wirklichkeit ist von diesen Zielen weit entfernt: Von 1990 bis 1996 hat sich die Zahl der Lkw- Transitfahrten durch Tirol von 850.000 auf 1,2 Millionen, also um 43 Prozent, erhöht. Die vereinbarte Reduzierung der Schadstoffbelastung wurde dabei um 77 Prozent verfehlt und die Mautgebühr um 15 Prozent gesenkt. Auch die Verlagerung auf die Schiene ist trotz Milliardeninvestitionen in den Streckenausbau Illusion geblieben: Der Eisenbahntransit konnte bis 1997 nur einen Zuwachs um 1,42 Prozent verbuchen, während der Straßentransit um fast 10 Prozent zunahm. Schuld sind nicht zuletzt die hohen Bahntarife.

„Das Tiroler Transitproblem ist ein nationales und ein internationales Verkehrsproblem, das von den Verursachern gelöst werden muß – also von denjenigen, die unser Land nur als Transitkorridor sehen und mißbrauchen“, sagt Fritz Gurgiser, Gründer und Obmann des Transitforums. Und diese Verursacher sitzen laut Gurgiser in den großen Industriekonzernen und in den EU-Institutionen. „Deshalb stellen wir den Brenner in den Mittelpunkt der europäischen Transitverkehrsproblematik und verlangen am Brenner die Lösung aller Probleme, die der alpenquerende und europäische Straßentransitverkehr für Bevölkerung, Natur, Wirtschaft und Kultur mit sich bringt.“

Die ständig steigende Lkw-Kilometerleistung geht seit Jahren einher mit einem dramatischen Verlust an Arbeitsplätzen. Obwohl in der EU, in Deutschland und Österreich im Zeitraum von 1991 bis 1996 die Lkw-Kilometerleistung um 30 Prozent gestiegen ist, hat dieser Anstieg nach offizieller Statistik keinerlei positive Auswirkungen auf die Beschäftigungslage nach sich gezogen. Das Gegenteil ist der Fall, die Zahl der Arbeitslosen ist im gleichen Zeitraum dramatisch gestiegen. In Tirol hat sich die Zahl der Arbeitslosen seit 1990 um 31 Prozent erhöht.

Trotz des massiven Widerstands gegen die geplante Verordnung zur Harmonisierung verschiedener Lkw-Fahrverbote hat die EU- Kommission diese beschlossen und will sie noch in diesem Monat im Ministerrat einbringen.

Die Blockierer sind auch um das Familienleben der Fernfahrer besorgt: „Der Druck auf die Fahrer und ihre Familien würde extrem steigen“, heißt es auf der Internet- Homepage des Transitforums. „Natürlich müßte nach den gesetzlichen Lenkzeitbestimmungen eine Wochen(end)ruhezeit von 45 Stunden ununterbrochen eingehalten werden. Die Praxis zeigt aber, daß dies ganz anders funktionieren wird. Der Fahrer kommt Sonntag früh nach Hause, die Wäsche wird gewechselt, bis abends kann er einmal ausschlafen, und dann geht's sofort weiter. „Familienleben wird es noch weniger oder gar keines mehr geben. Viele Fahrer kommen doppelt unter Druck: Einerseits wartet die Familie, andererseits ist da die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren. Das kann sich ja auch keiner leisten.“