„Gute Aussiedler“ und „böse Flüchtlinge“

In Groß Flottbek wehren sich „emotional berührte Bürger“ gegen Flüchtlinge. Auch in anderen Bezirken regt sich heftiger Widerstand gegen neue Unterkünfte  ■ Von Elke Spanner

Dirk-Peter Lühr hat ein Problem: „Ich bin ein sehr demokratischer Mensch.“ Sprüche wie „mit Asylanten kommen Drogen und Prostitution in unsere Nachbarschaft“, wie sie auf einer öffentlichen Anhörung im April gefallen sind, seien „keine rechtsradikalen Töne“, sondern „Äußerungen emotional berührter Bürger“. Die leben in Groß Flottbek und wehren sich mit Händen, Füßen und mittlerweile einer Bürgerinitiative dagegen, daß Flüchtlingsfamilien aus Bosnien und Afghanistan in ihrer gutbetuchten Nachbarschaft untergebracht werden.

Denn das plant der Landesbetrieb „pflegen & wohnen“ (p&w), im Auftrag der Sozialbehörde städtischer Träger auch des Pavillon-dorfs am Flottbeker Hemmingstedter Weg. Seit sieben Jahren sind deutschstämmige Aussiedler dort untergebracht, nun beantragte p&w eine Nutzungserweiterung auf Flüchtlinge beim Bezirk Altona. Nachdem es auf der öffentlichen Anhörung Ende April zum Eklat gekommen war, trifft sich mittlerweile ein „Runder Tisch“, der zwischen p&w und den aufgebrachten AnwohnerInnen vermitteln soll. Am 25. Juni soll die Altonaer Bezirksversammlung entscheiden, das „Bürgerbegehren Groß Flottbek e.V.“ kündigte bereits an, gegen eine Nutzungserweiterung vor Gericht zu ziehen.

Nicht nur in Flottbek legen die deutschen BewohnerInnen gesteigerten Wert darauf, unter sich zu bleiben. Auch in Harburg kämpften sie dafür – und gewannen. Mit den Stimmen aller Fraktionen, auch der GAL, lehnte die Bezirksversammlung Ende April den p&w-Antrag ab, im Containerdorf am Rönneburger Kirchweg Flüchtlinge unterzubringen. Auch die GAL nahm sich der Sorgen der deutschen Anwohner an: „Wir handeln nicht gegen den Willen der Bevölkerung“, fühlte Harburgs GAL-Fraktionssprecher Ronald Preuß mit den national bewegten Herzen.

Neu sind die Konflikte um die Unterbringung von AusländerInnen in Hamburg nicht. Schon als Anfang der 90er Jahre an mehreren Orten Container aufgestellt und Pavillons gebaut wurden, gingen AnwohnerInnen auf die Barrikaden. Damals allerdings kamen durch die Öffnung der Ostgrenzen besonders viele Aussiedler nach Hamburg – Menschen, die ihr Leben beispielsweise in Rußland verbracht haben, aufgrund ihrer Vorfahren aber als Deutsche gelten und deshalb von skeptischen NachbarInnen eher akzeptiert wurden. Besonders umkämpfte Unterkünfte wurden damals Aussiedlern vorbehalten, auch der Hemmingstedter Weg, das „Hirtenland“ in Bergedorf, der Rönneburger Kirchenweg und der Rehrstieg in Harburg.

Doch die Zuwanderung hat sich seither stark verändert. Wegen des Bürgerkriegs in Ex-Jugoslawien flohen zigtausende Menschen hauptsächlich aus Bosnien nach Deutschland. Schnell wurden Notunterkünfte aufgestellt. Parallel ging die Zahl der AussiedlerInnen stark zurück, inzwischen auch die der Bosnienflüchtlinge. In den Unterkünften wurden Plätze frei, einige sind bereits abgebaut. Von den notdürftigen Containerdörfern der ersten Generation steht keines mehr. Auch der Pachtvertrag für zwei der vier Wohnschiffe in Neumühlen läuft zum Ende des Jahres aus. Die dort noch lebenden rund 600 Flüchtlinge sollen in Unterkünfte umziehen, in denen Plätze frei sind. In Groß Flottbek sind von 420 Plätzen 150 nicht genutzt.

Die Dörfer sind auf städtischen Grundstücken errichtet, die Pavillons und Container gehören der Stadt. Deshalb sind sie zum einen billiger als die Schiffe oder angemieteten Häuser, zudem ist der Standard in den festen Unterkünften weitaus höher. „Wir haben ständig Anfragen von Menschen, die im Hotel Interrast leben müssen“, berichtet Winfried Sdun, der bei p&w für die Unterbringung zuständig ist. „Es ist bitter, wenn kleine Kinder auf der Reeperbahn wohnen müssen, während Häuser im Grünen frei bleiben.“

Die protestierenden AnwohnerInnen argumentieren indes formal. Die Dörfer seien durchweg auf Flächen entstanden, die für Bebauung gar nicht vorgesehen waren. Deshalb sei die Nutzung jeweils auf fünf Jahre befristet, dann kommentarlos verlängert worden, und nun solle aus dem geplanten Provisorium ein Dauerzustand werden. Dirk-Peter Lühr vom „Bürgerbegehren Groß Flottbek e.V.“: „In unserem Staat darf sich jeder seinen Wohnort selbst aussuchen. Als wir nach Flottbek zogen, haben wir das getan.“ Und jetzt: Pavillons direkt hinter dem Gartenzaun, schon seit sieben Jahren. „Eine einzige Straße muß die soziale Last von uns allen tragen“, empört er sich.

Indes bewerten alle die Erfahrungen mit den AussiedlerInnen am Hemmingstedter Weg durchaus positiv – auch Lühr. Anstatt aber damit frühere Bedenken gegen Zuwanderer als widerlegt zu betrachten, werden die gleichen Ressentiments nun gegen Flüchtlinge aufgefahren. Vor der Aufsplittung in „gute Aussiedler“ und „böse Flüchtlinge“ warnte auf einer Veranstaltung Ende April Jochen Menzel vom Verein „terre des hommes“: „Wir können MigrantInnen nicht gegeneinander ausspielen.“

In der Realität ist es aber so. Auf derselben Veranstaltung versprach p&w, es würden nur „ausgesuchte Gruppen“ an den Hemmingstedter Weg ziehen, von denen man wisse, „daß sie sich pfleglich in Unterkünften verhalten“. Die AnwohnerInnen des Rönneburger Kirchenwegs jammerten, bisher hätten sie Glück gehabt, daß „nur“ Aussiedler in ihrer Nachbarschaft gewohnt hätten. Und das „Bürgerbegehren Groß Flottbek“ rechnet akribisch vor, daß immer noch rund 2000 Aussiedler pro Jahr die Hansestadt erreichen. Die seien im Hemmingstedter Weg gerne willkommen.