„Das ist eine böse Geschichte“

■ Kein Bremer Sonderweg: Kranken SozialhilfeempfängerInnen werden die Leistungen ab Juli deutlich gekürzt

SozialhilfeempfängerInnen, die an Aids, Multipler Sklerose oder Krebs erkrankt sind, müssen die Mark ab nächstem Monat noch einmal öfter umdrehen, bevor sie sie ausgeben. Denn ab Juli sollen ihnen die Zuwendungen um über 100 Mark pro Monat gekürzt werden. Zusätzlich zum Sozialhilfesatz von maximal 540 Mark hatten die Kranken Anspruch auf „krank-heitsbedingten Mehrbedarf“, um sich gesund zu ernähren. MS- und Krebskranke erhielten dafür 151, Aids-Kranke 179 Mark zusätzlich. In Zukunft werden es für sie nur noch 50 Mark sein. Mußten die Streichungen sein, fragten wir die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Elke Steinhöfel, zugleich Mitglied der Sozialdeputation.

taz: Werden Aids-, Krebs- und Multiple Sklerose-Kranke mit Sozialhilfe in Bremen tatsächlich ab dem nächsten Monat derart schlechter gestellt?

Elke Steinhöfel, sozialpolitische Sprecherin der SPD-Bürgerschaftsfraktion: Ja, es ist richtig, weil bei den Regelungen zum „krankheitsbedingten Mehrbedarf“ Veränderungen eingetreten sind. Es gibt aber auch Krankheiten, die neu in den „Mehrbedarfskatalog“ aufgenommen worden sind, sodaß kranke Menschen jetzt eine Zulage erhalten, die vorher nichts bekommen haben. Aber in der Tat, die veränderte Bedarfsregelung trifft viele Menschen mit schweren Erkrankungen.

Bei Sozialhilfe-Empfängern schlägt eine Kürzung um 100 Mark doch stark durch. Gibt es eine Verpflichtung für Bestandsschutz, daß diejenigen, die jetzt Gelder bekommen, dies auch in Zukunft werden?

Der Bundesgesetzgeber will, daß bei genau definierten Krankheiten der „ernährungsbedingte Mehrbedarf, der durch die Krankheit entsteht,“ gedeckt wird – und nur dies- Leider nicht mehr und leider nichts anderes.

War die Neuregelung eine Anpassung an Bundesgesetze?

Nein, nicht an Bundesgesetze, aber das Bundesgesundheitsamt und Experten des Deutschen Vereins haben festgelegt, daß bei den von Ihnen zitierten Krankheiten, u.a. auch bei Aids, der „Ernährungsmehrbedarf“ geringer geworden sei und bei anderen Krankheiten höher eingestuft werden müsse.

Hatte Bremen keine Chance, da einen eigenen Weg zu gehen?

Bei den vielen negativen Veränderungen in der Sozial- und Gesundheitspolitik der Bundesregierung, die für behinderte Menschen, für chronisch Kranke, aber auch für alte Menschen massive Verschlechterungen bringen, stelle ich mir diese Frage als Landesparlamentarierin natürlich bei jedem neuen „Sündenfall“. Müssen wir dem in Bremen zwingend folgen? Gibt es gesetzlich legale Möglichkeiten davon abzuweichen – und haben wir, was im gebeutelten Sozialhaushalt mindestens gleichbedeutend ist, dafür die Mittel?

Im vorliegenden Fall zu sagen, Bremen weicht ab, wäre nach meinem gegenwärtigen Kenntnistand schwer möglich gewesen.

Warum?

Weil wir den Sachverstand des Bundesgesundheitsamtes, den der Experten des Deutschen Vereins als Politiker nicht durch unseren ersetzen können. Im übrigen hat das Gesundheitsamt in Bremen, das in derartigen Fällen für unseren kommunalen Bereich gutachterlich tätig wird, die Expertenmeinung von Bundesgesundheitsamt und Deutschem Verein bestätigt. Damit entfällt leider ein wichtiger Ansatzpunkt, an dem wir in Bremen hätten möglicherweise ansetzen können. In Bremen waren die Mehrbedarfe für Aids-Kranke bisher höher als im Länderdurchschnitt. Nimmt man von einer solchen Linie jetzt Abstand?

Der Bundesgesetzgeber fordert, daß der Bedarf gedeckt wird. Sagen Experten nun, daß der ernährungsbedingte Mehrbedarf bei bestimmten Krankheiten geringer ist, dann ist das für die Betroffenen sehr bitter.

Und?

Das Hauptgesundheitsamt ist von der Behörde gefragt worden und hat nach einer Prüfung sein grünes Licht gegeben.

Hätten Sie in der Sozialdeputation etwas unternehmen können?

Wenn die Sozialverwaltung, wie in diesem Fall geschehen, eine Vorlage „zur Kenntnis“ gibt, können wir als Parlamentarier kritische Nachfragen stellen, wir können die Vorlage bei grundsätzlichen rechtlichen oder tatsächlichen Zweifeln bis zu einer späteren Sitzung, in der diese Zweifel ausgeräumt werden müssen, aussetzen und unsere Fraktionen damit befassen.

Hätte die Sozialsenatorin die Möglichkeit, eine andere Politik zu fahren?

Nach dem oben gesagten, in diesem konkreten Fall, „Nein“.

Aber es gibt einen rechtsverbindlichen Zwang, diesen Empfehlungen zu folgen?

Nein, den gibt es nicht. Wenn man der Expertenmeinung des Bundesgesundheitsamtes in Bremen folgen will, dann muß man eine fachlich fundierte Expertenmeinung dagegensetzen können.

Diese fachlich fundierte Expertenmeinung steht mir als Sozialpolitikerin leider gegenwärtig nicht zur Verfügung. Das enthebt uns nicht davon, und dafür werde ich mich mit den Kolleginnen aus der Gesundheitsdeputation einsetzen, mögliche Auswirkungen dieser Veränderungen kritisch zu begleiten, z.B. mit Selbsthilfegruppen den Kontakt zu verstärken, um so in absehbarer Zeit zu einer anderen Bewertung kommen zu können.

Fragen: Christoph Dowe