„Wir müssen uns dieser Aufgabe stellen“

■ Nur wenn man als Realität anerkenne, daß es an den Schulen Kinder gibt, die Deutsch nicht als Muttersprache sprechen, kann man sich dem Problem stellen, meint die Lehrerin Sanem Kleff

taz: Was kann die erste türkische Bildungsmesse erreichen?

Sanem Kleff: Sie zeigt, daß sich die türkische Community um ihre Kinder kümmert. Und das ist dringend erforderlich, daran hat es immer gehapert.

Warum?

Vor 30 Jahren lag es daran, daß die Eltern der ersten Generation kaum Erfahrung mit Schule hatten, insbesondere mit dem deutschen Schulsystem.

Jetzt haben die Eltern der zweiten Generation das Wissen durch ihre eigene Schulzeit und blicken durch. Sie können präzisere Fragen und präzisere Forderungen stellen. Was aber immer noch fehlt, ist, daß sie gemeinsam ihre Stimme erheben. Die Existenz des türkischen Elternvereins reicht dafür nicht aus.

Was ist denn das größte Problem für Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache?

Einen guten Abschluß zu machen. Nach wie vor haben 30 Prozent dieser Kinder überhaupt keinen Schulabschluß. Die meisten haben nur einen einfachen Hauptschulabschluß. Ganz wenige, nämlich nur zehn Prozent, machen überhaupt das Abitur.

Das ist eine umgekehrte Pyramide verglichen mit deutschen Kindern. Das heißt, sie sind dazu verdammt, in der Unterschicht zu bleiben, denn ein Aufstieg kann heute nur über Schule und Bildung erfolgen.

Welche Schuld hat das Schulsystem daran?

Unsere Schulstrukturen können nicht ausreichend individuell auf die Bedürfnisse und Probleme der Kinder eingehen. Kinder von MigrantInnen, auch der zweiten Generation, können der deutschen Sprache häufig nicht ausreichend folgen, und für dieses Problem gibt es noch keine wirklichen Lösungsansätze.

Wichtig ist im Moment außerdem, ein positives politisches Zeichen zu setzen. Anders allerdings als das, was in den vergangenen Wochen auch im Rahmen der Innenstadtkonferenz in der Öffentlichkeit verlautbart wurde.

Es muß anerkannt werden, daß an unseren Schulen Kinder sind, die Deutsch eben nicht als Muttersprache sprechen. Daß das die Realität ist. Und es muß gesagt werden, daß wir uns dieser Aufgabe stellen werden, genauso wie jeder anderen pädagogischen Aufgabe, die unsere Kinder betrifft. Nicht mehr und nicht weniger. Sachlich, nüchtern, offensiv. Dann können auch weitreichende Konzepte entwickelt werden.

Aber es gibt doch schon seit Jahren Förderunterricht und spezielle Klassen für Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache. Hat diese Art Unterricht versagt?

Abgesehen davon, daß die vorgesehenen Fördermaßnahmen nicht ausreichen, sind sie bislang nicht sinnvoll umgesetzt worden. Es muß außerdem dafür gesorgt werden, daß die Qualifikation der LehrerInnen erhöht wird, um diese Aufgaben zu bewältigen.

Man darf nicht vergessen: Kein einziger der Kollegen und Kolleginnen hat in seiner Ausbildungszeit die Möglichkeit zur einer solchen Qualifizierung gehabt. Die gab es nicht, und die gibt es heute noch nicht in der Lehrerausbildung. Nach dieser langen Zeit der Migration müßte endlich umgedacht und dieses Thema als ein ganz normaler Bestandteil in die Ausbildung integriert werden.

Ein tragender Baustein müßte sein, daß Lehrer lernen, Kindern Deutsch systematisch als Zweitsprache beizubringen. Alles, was die Kollegen heute tun und über Jahrzehnte getan haben, mußten sie sich mehr oder weniger durch einige Weiterbildungsmaßnahmen selbst beibringen.

Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) hat angekündigt, daß im nächsten Schuljahr 319 Lehrerstellen – 50 mehr als im vergangenen Schuljahr – für zusätzliche Kurse und Förderunterricht eingerichtet werden.

Ich halte viel davon, daß jetzt mehr Mittel in diese Arbeit gesteckt werden. Richtig kann ich mich aber nicht darüber freuen, denn faktisch werden den Schulen jetzt die Lehrkräfte wiedergegeben, die ihnen im Rahmen der Sparmaßnahmen vor zwei, drei Jahren abgeknapst wurden. Lehrerstunden allein bringen es aber nicht.

Für die Qualifikation muß gesorgt werden. Zum Beispiel müßte es bezirkliche Fachbereichsleiter wie für Biologie und Mathematik auch für Fragen der Beschulung von Kindern von MigrantInnen geben, damit Informationen und Wissen in die Schulen reingetragen und weitergeleitet werden. Interview: Julia Naumann

Sanem Kleff arbeitet als Pädagogin beim Berliner Institut für Lehrerweiterbildung (BIL) und ist bei der GEW zuständig für multikulturelle Angelegenheiten