"Die demokratische Stadt ist chaotisch"

■ Für heutige Architektur braucht man keine Innovatoren, sondern Konstruktionsbüros: Ein Gespräch mit dem US-amerikanischen Architekten Frank O. Gehry über Marktwert und Eigensinn, künftige Baukultur

taz : Herr Gehry, Sie haben gerade in Wien den Friedrich-Kiesler-Architekturpreis zugesprochen bekommen. Verbindet Sie irgend etwas mit der Person oder dem Werk Friedrich Kieslers?

Frank O. Gehry: Ich kenne seine Arbeit. Kiesler war Vorbild, jemand mit dem Mut und dem Willen, etwas auszuprobieren. Wenn er auch noch davon leben kann wie zum Beispiel Friedrich Kiesler dann gibt das Hoffnung.

Kann eine einzelne Person stark genug sein, um die Architektur weiterzuentwickeln?

Natürlich. Auch als Einzelerscheinung kann ich Dinge entwickeln und auf Dauer gesehen Einfluß haben. Im Laufe der Zeit hat sich zum Beispiel herausgestellt, daß Kieslers Ideen, sein Umgang mit Form und Raum, hochinteressant und relevant waren.

In welcher Form sehen Sie sich selbst als Vorbild?

Das müssen andere beurteilen. Worauf kommt es an, in diesem Leben? Was interessiert uns wirklich an den Leuten, die wir treffen? Der eine sammelt Schmetterlinge, der andere liest Proust, und darüber kann es wunderbare Unterhaltungen geben, aus denen man bereichert herausgeht. Die Unterschiede im Leben, die machen es erst so interessant, und das Wichtigste dabei ist, man selbst zu sein. Das will nicht jeder. Aber ich will es. Ich will meine ganz eigene Arbeit machen. Und ich bin froh darüber, daß es genug Leute gibt, die sich dafür interessieren, die mich beschäftigen und bezahlen, so daß ich davon leben kann.

Die Architektur, die ich mache, hat nur einen kleinen Markt. Wir sprechen hier nicht vom offiziellen Amerika. Keine amerikanische Behörde würde mich je engagieren. In den USA interessieren sich die öffentlichen Stellen nicht für Leute wie uns. Es ist also eine absolute Herausforderung, zu überleben und von einer gewissen Anzahl von Menschen geschätzt zu werden, wie etwa Kiesler und Corbusier.

Warum läßt sich ein Architekt angesichts der großen Konkurrenz überhaupt auf solche Risiken ein?

Was die Sache erst interessant macht, ist, wenn man das eigene Metier findet, den eigenen Markt. Die jungen Leute, die Architekten werden wollen, können sich die Arbeiten all dieser Leute anschauen und dann entscheiden, welchen Weg sie gehen wollen: Ihren eigenen oder den, der in die großen Architekturfirmen führt. Es gibt viele Möglichkeiten in dieser Branche. Ich kann Villen bauen – oder Häuser für Obdachlose. Ich hoffe zum Beispiel, daß sich Architekten künftig für Low-cost-Housing für Arme interessieren. Ich würde so etwas gern machen, doch auch dafür gibt es in Amerika keinen Markt.

Aufträge gehen zunehmend an Konstruktionsbüros, Architekten werden immer weniger beschäftigt.

Das ist überall dasselbe, auch in Amerika. Nur wenige kommen durch. Du wählst ein Leben, in dem die Leute erst bemerken und honorieren, was du machst, wenn du bereits in deinen Sechzigern bist. Ich mußte sechzig Jahre alt werden, bevor mich jemand mit einem wirklich großen Projekt beauftragte.

Wie wird sich diese zunehmende Nichtbeschäftigung von Architekten auf die Entwicklung der Städte auswirken?

Die Städte werden sein, was sie immer waren, daran wird sich nichts ändern, wenn es nicht einen erleuchteten Diktator gibt, der bestimmt, wie sie auszusehen haben, nämlich schön. Wir wollen das natürlich nicht, weil wir in einer Demokratie leben und diese nicht verlieren wollen. Ich denke, die Stadt muß als Angelegenheit der Demokratie betrachtet werden. Es kann kein Konsens darüber bestehen, wie eine Stadt gemacht sein soll. Deshalb ist die demokratische Stadt chaotisch. Architektonisch besteht der größte Teil der Welt ohnehin aus Analphabeten. Die Menschen kennen die Möglichkeiten gar nicht, die Architektur bietet. Es wäre Aufgabe der Universitäten, den Leuten ein bißchen Architektur beizubringen, damit dieser Architekturanalphabetismus bekämpft wird. Doch auch diese Entwicklung dreht sich weiter. Als ich Architektur studierte, gab es nur wenige international bekannte Architekten. Heute hat sich das dank der Presse und der Medien geändert, und es werden mehr Talente genährt als früher.

Die Geschichte der Architektur ist wandelhaft wie eine Reise. Wo werden wir demnächst landen?

Es scheint nun, mit all dieser Technologie rund um uns, eine Sehnsucht der Menschen nach Natur zu geben. Das ist meine Annahme, und man sieht Elemente davon in meiner Arbeit. Meine Formen kommen aus der Natur, doch ich habe das nicht absichtlich gemacht, das geschah eher intuitiv. Die Gebäude des 20. Jahrhunderts sind bis auf ein paar Ausnahmen – wie etwa Arbeiten von Le Corbusier – in ihrer Art, in ihrer technischen Konstruktion sehr kalt. Sie haben kein Gefühl. Ich denke, Architekten wie Kiesler versuchen Leidenschaft und Gefühl in ein Gebäude zu bringen. Die Häuser, in denen wir leben, die Umwelt, in der wir uns bewegen, die Gebäude der Geschäftswelt sind kalt. Die Leute suchen etwas Freundlicheres, Natürlicheres.

Das bedeutet aber nicht Dachbegrünung und dergleichen?

Natürlich nicht. Aber wenn du in einen Garten gehst, ist dort ein Gefühl. Wenn du in ein modernes Architekturgebäude gehst, ist es tot. Ich spreche hier von Gefühl. Hans Scharouns Gebäude zum Beispiel haben Gefühl. Mies van der Rohe hat Boxen gebaut, aber auch diese Boxen haben Gefühl. Es kommt darauf an, wie man es macht. Das heißt nicht, daß man die Technik ablehnen muß, aber diese technologische Übermacht stößt uns immer weiter von einer Gefühlsumwelt weg. Die Leute haben Sehnsucht nach der Natur, sie montieren nicht umsonst alte Holzdecken in ihre Häuser.

Tragen Ihrer Meinung nach die Architekten eine Verantwortung für die bauliche Gestaltung der Umwelt? Sollte es einen Architekteneid gleich dem hypokratischen Eid für Ärzte geben?

Ja, ich glaube, das wäre das Ideal. Doch es ist leider nicht so. Die meisten Gebäude werden wegen des Geldes gebaut und nicht wegen der Architektur.

Was bedeuten Ehrungen wie der Kiesler-Preis für einen Architekten?

Diese Art Auszeichnung ist sehr wertvoll, weil sie die Arbeit unterstützt. Ich hatte das Glück, gleich ein paar davon zu bekommen.

Warum sind Sie Architekt geworden?

Ich habe geglaubt, das wäre ein Weg, um die Welt zu retten. Wenn du jung bist, glaubst du an solche Dinge. Ich war entzückt darüber, wie mich Gebäude beeindrucken konnten. Ich hoffte, Häuser zu bauen, die Leute glücklich machen können.

Ist es Ihnen gelungen?

Ja, ich glaube schon, irgendwie. Interview: Ute Woltron