Scheitern als Chance

■ Schon ein Jahr existiert die überaus linke Wochenzeitung "Jungle World", die als Streikblatt begann. Ihr größter Erfolg ist, daß es sie noch gibt

Ein kurzes Top, der Bauch ist nackt. So lächelt Popstar Blümchen vom Bravo-Poster auf der Eingangstür zur Wochenzeitung Jungle World. Über dem Redakteursschreibtisch daneben eine Fotomontage, die Sesamstraßen-Bert im Bett mit Pamela Anderson zeigt – zwischen all diesem Tand sitzt Deutschlands jüngste und nach eigenem Verständnis linkeste Wochenzeitung. Besucher werden mit ungewohnter Freundlichkeit empfangen, die üblichen mufflig-mißtrauischen Berliner Szenegesichter fehlen. Ist dies noch ein linksradikales Projekt?

Als vor einem Jahr die erste Ausgabe der Jungle World erschien, zunächst noch als Streikzeitung, da hätte kaum jemand einen Pfifferling auf das Projekt gegeben. Die Zeitung wurde geboren in einem Außenstehenden ziemlich unverständlichen Streit bei der äußerst kleinen und ebenfalls äußerst linken Tageszeitung Junge Welt, einem ehemaligen FDJ-Blatt, das seit einigen Jahren die „einzige marxistische Tageszeitung“ des Landes sein will.

Im Verlaufe des Streits ging nahezu die gesamte Redaktion des Blattes stiften. Die Redakteure der Jungle World einte zunächst nur, daß sie die Linie nicht so mochten, die Geschäftsführer Dietmar Koschmieder dem schwer schwächelnden Blatt verordnet hatte. Die Linie hieß: Zurück zu den Wurzeln (im Osten, im Kommunismus), weg von der „sektiererischen Westlinken“, wie man sagte.

Scheitern als Chance: Nach einem Jahr scheint sich die Jungle World wider Erwarten einigermaßen achtbar geschlagen zu haben. 9.000 Exemplare werden nach Verlagsangaben jede Woche verkauft, die Hälfte davon im Abonnement. An die Kioske gelangt das 4 Mark teure Blatt nur sehr spärlich, zudem ist es nahezu anzeigenfrei. Dennoch reiche es, um die langfristige Finanzierung zu sichern, behaupten die Zeitungsmacher. Gespart wird bei den Gehältern: Nachdem die sechs Redakteure die ersten Monate für lau schufteten und von Ersparnissen lebten, zahlt man sich inzwischen 1.500 Mark monatlich aus – und das bei einer 60-Stunden-Woche. Was treibt die Redakteure zu dieser Selbstausbeutung?

„Es geht darum, daß Positionen links von der taz auch öffentlich gemacht werden“, meint Redakteur Heiko von Schrenk. Das Sendungsbewußtsein sei allerdings nicht mehr sehr groß. Hauptsache sei, daß die Jungle World „eben eine Sache ist, die Spaß macht“.

Von Schrenk ist für das Layout verantwortlich: Flattersatz, große Fotos, viel Leerraum, unterschiedliche Schriftarten – fast wirkt es so, als hätte sich die Zeit ein halbes Jahr später bei den kühnen Ideen der Jungle World Anregungen für ihr neues Erscheinungsbild geholt. Auch inhaltlich hat sich der Schritt zur Wochenzeitung gelohnt. Viele Artikel sind im Vergleich zur ehemaligen Jungen Welt fundierter geworden. Auch renommierte Autoren wie Diedrich Diedrichsen und Georg Seeßlen kommen zu Wort; Zeichner OL hat eine feste Rubrik.

Dabei hat sich die Jungle World in einem schwierigen Umfeld behauptet. Große Teile ihrer linksradikalen Leserschaft haben in den letzten Jahren versucht, die eigenen Reihen nach außen fest geschlossen zu halten. Die offene Schlagseite der Redaktion zu Trash und Unterhaltung kommt da nicht immer gut an.

Besonders hoch schlagen die Wellen der Empörung immer dann, wenn sich die Jungle World über Veganer und den Antisexismus der Autonomen lustig macht. „Auf welche Seite ihr euch damit schlagt, bedarf keiner weiteren Erwähnung“, giftete eine Hamburger Männergruppe. „Wir können euren postmodernen Mischmasch nicht mehr ertragen“, greinte es enttäuscht aus Marburg, „das hatten wir uns nicht unter einem linken Pluralismus vorgestellt.“ Die Jungle World als postmodernes Blatt? Ach was. Autor Jürgen Elsässer übt in umgekehrter Richtung im Blatt regelmäßig kräftig Leserbeschimpfung: „Die meisten Linken waren, sind und bleiben Spießer, Reaktionäre und Antisemiten.“ Linke beschimpfen Linke – so bleibt's wenigstens munter bei den recht Radikalen.

Doch allzuoft lauert, wie in den Texten Elsässers, hinter postmoderner Ironie und dem modernen Layout noch ein ganz altbackener Linksradikalismus. „Linksradikale sind dafür bekannt, daß sie Zitate aus dem Zusammenhang reißen, Tatbestände gröblich vereinfachen und der Polemik und Agitation einiges zum Opfer bringen“, meinte jüngst einmal Jungle World-Mitarbeiter Stefan Ripplinger. Man wußte es nicht so recht: War das ironische Kritik oder eine Anleitung zum Schreiben in der Jungle World? Martin Reeh