Das Portrait
: Comiczeichnen als Familientherapie

■ Reg Smythe

Mit typisch britischen Underclass-Eigenschaften ist „Andy Capp“ ausgestattet, doch auch in 48 Ländern der Erde taugt diese kleine hutgesichtige Comic-Figur, um die Leser von Zeitungen zum Schmunzeln oder zum Ärgern zu bringen.

Der Erfinder des arbeitsunwilligen und machohaften Taugenichts, der britische Zeichner Reg Smythe, ist am vergangenen Samstag im nordenglischen Hartlepool im Alter von 81 Jahren an Krebs gestorben.

Eine Art Familientherapie war für Smythe das Erfinden und Zeichnen von Comicfiguren: Der stets alle Fragen des Lebens kommentierende Prolet „Andy Capp“ – in Deutschland unter dem Namen „Willi Wacker“ bekannt geworden – war dem Vater des Zeichners nachempfunden. Auch die Leiden seiner Mutter Florence mußte „Flo“, die Gattin von „Andy Capp“, nacherleben.

Smythe stammte aus der Familie eines Bootsbauers und verließ die Schule mit 14 Jahren. Anders als sein Comic-Kind suchte er als Jugendlicher ständig nach Arbeit, konnte aber keine besondere Qualifikation vorweisen. Auf dem Arbeitsamt und bei einfachen Hilfsarbeiten sammelte Smythe all jene Erfahrungen, die er später in seinen Comics verarbeiten sollte. Zehn Jahre diente er in der britischen Armee und brachte während des 2. Weltkriegs in Kairoer Zeitschriften seine ersten Zeichnungen unter. Nach dem Krieg begann er als freier Zeichner zu arbeiten und produzierte bis zu 60 Comic strips pro Woche. 1954 wurde er vom Daily Mirror verpflichtet, wo er 1957 den „Andy Capp“ zur Welt brachte. Diese Schöpfung sei sein bester Freund geblieben, bekannte Reg Smythe einmal.

Smythe hat bis zuletzt Folgen seiner Comics vorproduziert, so daß Fans auch nach seinem Tod noch Neuigkeiten von „Capp&Co.“ erfahren können. Für ein Jahr reichten die Vorräte an Zeichnungen, erklärte Ken Layson, der zuständige Redakteur des Mirror nach dem Tod von Smythe.

Smythe charakterisierte sein geistiges „Andy Capp“ als eine Person, die überall auf der Welt zu finden sei: „Er ist nur da, um zu warten, auf einen Nachbarn, auf einen Typen in der Kneipe...“.

Zunehmend umstritten in der Zeit der Political correctness waren die chauvinistischen und müßiggängerischen Ansichten des Sofahelden „Andy Capp“, doch er und sein Schöpfer waren in vierzig Jahren zur Institution geworden, in Großbritannien und weltweit. Volker Michael