Die Union verärgert die Rußlanddeutschen

Die Rußlanddeutschen waren der Union bislang treu verbunden. Seit einiger Zeit aber regt sich Widerstand. Eine neue Aussiedlerpartei setzt auf einen Rechtsausleger, und selbst die PDS entdeckt die Klientel  ■ Aus Berlin Severin Weiland

Auf dem jüngsten Treffen der Landsmannschaft der Rußlanddeutschen durfte sich Helmut Kohl wieder einmal richtig wohl fühlen. Heftig beklatschten die 60.000 Teilnehmer in Stuttgart sein Bekenntnis zu den Rußlanddeutschen. „Ohne Wenn und Aber", versprach der Kanzler, stehe die Bundesregierung zu ihnen.

Kohls Auftritt vor eineinhalb Wochen war wohl kalkuliert. Denn die rhetorischen Wahlkampfauslassungen können nur schwer darüber hinwegtäuschen, daß es unter den 1,9 Millionen Rußlanddeutschen, bislang der Union in Treue verbunden, gärt. Andreas Maurer, CDU-Aussiedlerbeauftragter in Osnabrück, weiß um den Unmut seiner Landsleute. „Die CDU steht in der Kritik, und sie muß aufpassen, daß sie eine ihrer wichtigsten Wählergruppen nicht verliert“, sagt der 28jährige Postbeamte.

Den Ärger hat die Union sich zu einem gut Teil selbst zuzuschreiben. Trotz der Beschwörungen, das Tor für die Aussiedler nicht zuzuschlagen, wurden in aller Stille Fakten geschaffen. Verschärfte Regelungen, unter anderem Sprachtests in der früheren Sowjetunion, ließen die Zahl der Aussiedler drastisch sinken. So kamen 1997 rund 25 Prozent weniger Rußlanddeutsche als im Jahr zuvor – Tendenz weiterhin fallend. Und ältere Aussiedler können nicht verstehen, warum sie deutlich weniger Rente bekommen als Einheimische – bei Ehepaaren liegt sie im bei 1.700, bei Unverheirateten bei 1.100 Mark und damit „knapp über dem Sozialhilfesatz“, so Maurer.

Auch das Wohnortzuweisungsgesetz, daß die Neuankömmlinge quer über die Republik verteilt, zum Teil in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit, halten viele für eine Schikane. Gehör konnten sich die Rußlanddeutschen bislang kaum verschaffen. Die Landsmannschaft wagt erst in jüngster Zeit vorsichtige Kritik. „Das hätten die schon vor zehn Jahren machen müssen“, meint Maurer. Bis heute sitzt im Bundestag kein rußlanddeutscher Abgeordneter. Auch auf Landesebene sieht es nicht besser aus. Als der Rußlanddeutsche Maurer, enttäuscht von seiner eigenen Partei, zur Niedersachsenwahl im März als Einzelkandidat antreten wollte, schaltete sich die Bonner CDU-Parteizentrale ein. Sie befürchtete, daß in seinem Bersenbrücker Wahlkreis ihr eigener CDU-Kandidat scheitern könnte – schließlich hatten Meinungsforscher Maurer bis zu acht Prozent vorausgesagt, vor allem Stimmen der Spätaussiedler.

Der Frust mit der Union hat unterdessen zu einer eigenen Partei der Rußlanddeutschen geführt. Im November 1997 wurde in Fulda die „Bundesvereinigung Heimat“ gegründet. Ihr Vorsitzender Viktor Bossert, einst in der UdSSR erster freigewählter Generaldirektor des Rigaer Automobilwerkes, hat für Kohls Auftritt vor der Landsmannschaft nur Spott übrig. „Wissen Sie, der Jubel hat mich erinnert an die letzten Tage von Generalsekretär Leonid Breschnew. Das war dann aber auch irgendwann vorbei“, sagt der 70jährige. Bosserts neue Partei ist mittlerweile in die Isolation geraten. Nachdem er mit seinem Versuch scheiterte, eigene rußlanddeutsche Kandidaten auf den Listen der im Bundestag vertretenen Parteien unterzubringen, bändelte er mit dem rechten „Bund freier Bürger“ an. Eine Übereinkunft sieht nun vor, daß die Anti-Euro-Partei des Ex- FDPlers Manfred Brunner im Falle ihres Einzugs in den Bundestag der „Heimat“ drei Sitze zugesteht.

Andreas Maurer, der mit der Bundesvereinigung anfangs sympathisierte und ihrem Beirat angehörte, distanziert sich mittlerweile von Bossert: „Das Zusammengehen mit Brunners Partei, die zum Teil rechtsradikal ist, ist eine schwere Niederlage für die Rußlanddeutschen.“ Maurer selbst will nun innerhalb der Union die Rußlanddeutschen organisieren. Ihm schwebe eine Art Vereinigung ähnlich der Frauen-Union oder der Jungen Union in der CDU/ CSU vor. An diesem Montag will er darüber in Bonn mit CDU- Fraktionschef Wolfgang Schäuble sprechen.

Die Risse zwischen der Kanzlerpartei und Aussiedlern hat mittlerweile andere auf den Plan gerufen. Ausgerechnet die PDS will vor der Bundestagswahl am 27. September im Osten um die Rußlanddeutschen werben. Im Ostberliner Bezirk Marzahn, wo rund ein Zehntel der 155.000 Einwohner Spätaussiedler sind, richtete sie bereits ein Fest für Rußlanddeutsche aus. Kürzlich wurde gar der erste Beitritt eines Aussiedlers vermerkt. Der Berliner PDS-Landesverband läßt derzeit ein Flugblatt ins Russische übersetzen. Einer der Kernsätze könnte auch von Kohl stammen: „Die PDS ist die Partei für die Aussiedlerinnen und Aussiedler.“