In Belgrad breitet sich Apathie aus

Die Serben sind verbittert. Sie empfinden den internationalen Druck wegen des Kosovo als ungerecht. Doch in einen neuen Krieg will kaum jemand ziehen  ■ Aus Belgrad Andrej Ivanji

Auf dem Belgrader Lebensmittelmarkt Dusanovac herrscht der gewohnte Trubel. Bauern beklagen sich, daß der Staat sie ruiniert, Hausfrauen schimpfen über die gestiegenen Obst- und Gemüsepreise, die Erhöhung der Telefongebühren um 40 Prozent und das Ausbleiben ausländischer Produkte wegen der Sanktionen. Doch eine Frage überschattet die täglichen Sorgen: Wird die Nato wegen des Kosovo-Konflikts Ziele in Serbien bombardieren?

„Das ist unfaßbar. Die Albaner knallen unsere Polizisten und Soldaten ab, und wenn sie sich verteidigen, wollen sie uns hier in die Luft jagen“, sagt der zwanzigjährige Milan hinter seinem Stand mit Tomaten und Zwiebeln unter Anspielung auf die Anschläge der Befreiungsarmee des Kosovo, UCK. Seinen Militärdienst hat Milan noch nicht abgeleistet. Würde er für einen serbischen Kosovo kämpfen? Nach kurzem Zögern entgegnet er: „Nein, ich habe den Schlamassel dort nicht angerichtet, warum sollte ich dafür sterben? Erst soll Milošević seinen Sohn hinschicken!“

Der serbische Militäreinsatz in der Provinz Kosovo hat zu ersten Protesten geführt. In der Arbeiterstadt Kragujevac im Herzen Serbiens versammelten sich Eltern vor der Kaserne der jugoslawischen Bundesarmee und forderten, daß ihre Söhne aus dem Kosovo abgezogen werden — oder sie zumindest Kontakt mit ihnen aufnehmen können. Und Jozsef Kasza, Bürgermeister der mehrheitlich von Ungarn bewohnten Stadt Subotica, verlangt vom jugoslawischen Bundespräsidenten Slobodan Milošević, alle wehrpflichtigen Ungarn aus dem Kosovo zurückzuziehen. Andernfalls würden alle ungarischen Abgeordneten das Bundes- und Landesparlament verlassen.

Im Grund genommen macht sich jedoch in Serbien Apathie breit. Die meisten Menschen kümmern sich um sich selbst und ihre Familie. Die vom Regime inspirierte Flüsterpropaganda besagt, die Drohungen der Nato mit Luftangriffen sei wieder einmal auf „die Deutschen“ zurückzuführen. Aber auch dies kann die Menschen nicht mehr zum Kampf aufstacheln und keinen „patriotischen Trotz“ mehr wecken. Ein Großteil der Bevölkerung ist verbittert, den internationalen Druck wegen des Kosovo empfindet sie als ungerecht, doch in einen neuen Krieg will kaum jemand ziehen.

„Zwischen den Fußballspielen schaut sich das Volk kurz an, wie viele Tote es gerade im Kosovo gibt, dann widmet es sich wieder ganz der Weltmeisterschaft“, meint ein Belgrader Regisseur. Das Spiel gegen die Deutschen am 21. Juni sorge für mehr Aufregung als Drohungen aus Bonn. Schwerer als Bomben im Kosovo würde die Bevölkerung ein politischer Beschluß treffen, Jugoslawien aus der WM auszuschließen.

„Eine Aktion der Nato in Jugoslawien kann ohne unser Einverständnis nicht stattfinden“, betont Ivica Dacić, der Pressesprecher der Sozialistischen Partei von Milošević. „Drohungen und Sanktionen Amerikas und der EU ermuntern gefährlich den Terrorismus im Kosovo.“ Dagegen unternehme die internationale Gemeinschaft jedoch nichts.

Angriffe der UCK auf serbische Polizisten gehören im Kosovo mittlerweile ebenso zum Alltag wie Angriffe serbischer Einheiten auf albanische Dörfer. Doch die mangelnde Kampfmoral bereitet dem Regime in Belgrad beachtliche Kopfschmerzen. Allein in der serbischen Hauptstadt haben es 363 Polizisten abgelehnt, für je zwanzig Tage im Kosovo im Kampf gegen „albanische Terroristen“ eingesetzt zu werden. Und ohne darauf zu warten, daß sie wegen Befehlsverweigerung gefeuert werden, haben sie gleich selbst gekündigt. „Lieber lebendig und arbeitslos, als daß ich in irgendeinem Kaff abgeknallt werde und meine Familie allein mit einer miserablen Rente auskommen muß“, sagt einer der Polizisten, der namentlich nicht genannt werden möchte.