Ettmayer findet Nachfolger

„Wir gewinnen immer“: Jamaika erweist sich beim 1:3 gegen Kroatien als der einzige Außenseiter dieser WM, der noch nicht einmal Außenseiterchancen besitzt  ■ Aus Lens Christoph Biermann

Wie sehr die jamaikanischen Spieler gegen Kroatien auf eine Überraschung gehofft, sie vielleicht sogar erwartet hatten, konnte man erst nach dem Spiel sehen. Tief enttäuscht verschwanden sie nach der 1:3-Niederlage ganz schnell vom Platz und wirkten auch bei den anschließenden Interviews untröstlich. Nur René Simoes, der brasilianische Trainer der Reggae Boyz, gab immer wieder fleißig die Parole aus, daß seine Mannschaft gar nicht verlieren könne: „Wir gewinnen hier immer, denn wir lernen bei diesem Turnier ständig dazu.“

Das dürfte wohl auch der richtige Ansatz für eine Mannschaft sein, die unbestreitbar die schlechteste des Turniers ist. Der jamaikanische Außenseiter ist der einzige ohne Außenseiterchance. Durch die Adaption des irischen Modells, also in England spielende Profis jamaikanischer Herkunft für das Team zu gewinnen, wurde zwar die WM-Qualifikation geschafft, mehr als ein „Dabeisein ist alles“ dürfte für Jamaika allerdings nicht zu erreichen sein. Das spielerische Gefälle zwischen den englischen Profis und den jamaikanischen Halbamateuren, die bestenfalls auf gehobenem Regionalliganiveau agieren, ist für höhere Ziele einfach zu groß. Eine Ausnahme bildet in diesem Zusammenhang vielleicht noch Theodore Whitmore, doch auch der elegante Mittelfeldspieler war mit einem geordneten Spielaufbau überfordert. So versuchten es die Jamaikaner gegen ein auffallend lauffaules kroatisches Team immer wieder mit lang gespielten Bällen oder hofften aufgrund ihrer Kopfballstärke auf gefährliche Situationen bei Eckbällen.

So bereite Fitzroy Simpson (FC Portsmouth) mit einer weiten Flanke auch den Ausgleich Sekunden vor dem Halbzeitpfiff vor, Robbie Earl (FC Wimbledon) traf per Kopf. Der „größtmögliche psychologische Schock“, so Kroatiens Trainer Miroslav Blasević, war auch die größtmögliche Gelegenheit für den Gegner zu feiern. In der Pause verwandelten die jamaikanischen Fans das Stadion Félix Bollaert in eine Sektion des Notting-Hill-Karnevals. Die Torcidas aus Freiburg und Ludwigshafen, die Bad Blue Boys aus Berlin und viele andere kroatische Fans, die vor allem aus Deutschland in Massen gekommen waren, schwiegen entsetzt.

Bereits acht Minuten später aber hatte Robert Prosinecki mit einem wahlweise als abgerutschte Flanke oder raffinierten Schlenzer zu interpretierenden Schuß bereits wieder die Aussichtlosigkeit der jamaikanischen Bemühungen aufgezeigt. Ohne großes Engagement warteten die Kroaten danach einfach auf weitere Fehler eines Gegners, der quasi in Unterzahl spielte. Trainer Simoes leistete sich den Luxus mit nur zehn Fußballspielern anzutreten, und dazu einen weiteren Akteur aufzustellen, dem wohl die Rolle des Maskottchens auf dem Platz zugedacht war. Der 34jährige Peter Cargill wirkte wie der ganz späte Buffy Ettmayer, interpretierte das WM-Debüt seines Landes wie ein Prominentenspiel und reduzierte mit zunehmender Spielzeit sein Arbeitsfeld auf den Anstoßkreis. Das hört sich zwar lustig an, dürfte aber bei der Erfüllung des jamaikanischen Wunsches kaum helfen, nicht nur als bunte Exoten gesehen zu werden. Genauso wie die erneut wiederholte Behauptung von Simoes, seine Mannschaft wäre nach Frankreich gekommen, um sieben Spiele – also bis zum Finale – zu absolvieren, was mehr noch als Billig- Psychologie einfach blühender Unsinn ist.

Damit unterstützte Simoes nur erneut die Wahrnehmung seines Teams als Versammlung lustiger Rasta-Kicker, der in Lens auch erstaunlich viele deutsche Wahl-Jamaikaner aufsaßen. Freaks aus Emmendingen, Göttingen und sonstigen Kiffer-Hochburgen hatten die Reggae Boyz im Dreierschritt Jamaika–Reggae–Cannabis als ihr Team adoptiert. Das trug zwar auf den Straßen der nordfranzösischen Stadt zur ersten richtig netten WM-Party bei, wie auch die laut dröhnenden Soundsystems vor dem Bahnhof, nur nahm es die durchaus ernsthaften sportlichen Ambitionen der Spieler nicht sonderlich ernst.

Kroatien: Ladić – Soldo – Bilić, Stimać – Simić (73. Vlaović), Prosinecki, Boban, Asanović, Jarni – Šuker, Stanić

Zuschauer: 40.000

Tore: 0:1 Stanić (27.), 1:1 Earle (45.), 1:2 Prosinecki (53.), 1:3 Šuker (69.)

Jamaika: Barrett – Sinclair, Lowe, Goodison – Earle (72. Williams), Cargill (69. Powell), Whitmore, Simpson, Gardener – Burton, Hall (82. Boyd)