■ Netanjahu scheint bereit, die US-Rückzugsforderung zu akzeptieren
: Zerfällt die israelische Rechte?

Jetzt werden die Messer geschliffen. Den ersten Dolchstoß aber hat der Ministerpräsident selbst geführt. In den Rücken der Siedler. Was die Spatzen schon seit Wochen von Jerusalems Dächern pfiffen, ist seit gestern amtlich. Netanjahu stimmt einem 13prozentigen Teilrückzug aus den besetzten palästinensischen Gebieten zu. Auch wenn gestern aus den USA noch ein Dementi zu hören war – die Richtung scheint festzustehen. Damit ist die Schlacht offiziell eröffnet. Und sie wird zu Spaltungen in allen politischen Lagern Israels führen.

Eine Million Mark haben die Siedler bisher für ihre Propagandakampagne gegen einen weiteren Teilrückzug ausgegeben. Rundflüge, bunte Landkarten, Briefsendungen, Zeitungsanzeigen. Auf nichts ist verzichtet worden, um das „Land Israel“ zu retten. Netanjahu kann sicher sein, von den Siedlern und der Groß-Israel-Front in der Knesset als Verräter gebrandmarkt zu werden. Und doch bröckelt auch diese Front. Die Minister der National-Religiösen Partei, die den Siedlern am nächsten steht, haben sich am Wochenende gegen einen Austritt aus der Regierung und gegen ein Mißtrauensvotum ausgesprochen. Mit dem sinnigen Argument, ohne Netanjahu würde alles nur noch schlimmer. Und nicht wenige Abgeordnete anderer Parteien bangen um ihre Pfründe, sollte Netanjahu mit Neuwahlen drohen. Die oppositionelle Arbeitspartei wird sich jetzt erst recht in die Haare kriegen. Soll sie Netanjahu ein Sicherheitsnetz bieten und in der Knesset für den Rückzug stimmen oder gleich auf den Sturz des Ministerpräsidenten setzen, dann aber mit den Stimmen der extremen Rechten? Oder gar eine Große Koalition eingehen zwischen Likud und der Arbeitspartei? Andererseits könnten sich die Likud-Dissidenten wie Begin und Meridor jetzt mit dem Hardliner Ariel Sharon zusammentun.

Doch voraussichtlich wird Benjamin Netanjahu die politischen Turbulenzen der kommenden Wochen locker überstehen. Er wird in bekannter Manier die einen gegen die anderen ausspielen, sich als Siedlerfreund ausgeben, betonen, wie eng Frieden und Sicherheit zusammenhängen und welch großes Opfer seine Regierung um des Friedens willen zu bringen bereit ist. Und wenn Netanjahu entgegen allen realistischen Erwarungen dennoch in die Bredouille geraten sollte, kann er immer noch sagen, daß die Palästinenser seine Sicherheitsanforderungen nicht erfüllt hätten, und den phasenweisen Rückzug kurzerhand wieder aussetzen. Am besten aber versteht sich immer noch Hamas darauf, den Friedensprozeß in entscheidenden Phasen zu torpedieren. Ein Anschlag genügt. Georg Baltissen