Wasserkraft legt Sachsens Flüsse trocken

Neue Studie belegt, daß die Förderung kleiner Wasserkraftwerke zwecks Klimaschutz ökologisch bedenklich ist  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Fisch oder Klima – das scheint hier die Frage. Jeder Kubikmeter, der über die Turbine eines Wasserkraftwerks fließt, bringt Strom und damit Geld. Kein Wunder also, daß die Wassermüller auch in trockenen Zeiten möglichst viel Wasser durch ihre Anlage leiten wollen. In Sachsen formiert sich jetzt massiver Protest gegen einen weiteren Ausbau dieser Form regenerativer Energieerzeugung im Namen des Klimaschutzes – aus ökologischen Gründen.

Umweltschützer haben dokumentiert, daß im Erzgebirge zahlreiche Flußbetten im Spätsommer austrocknen, weil Mühlenbetreiber das gesamte Wasser umleiten. Fische können so nicht mehr flußauf- oder -abwärts wandern. Außerdem verändern die Kraftwerke das ganze Jahr über die natürlichen Wasserstände und Fließgeschwindigkeiten der Flüsse und vertreiben dadurch Tier- und Pflanzengesellschaften. Allein in Sachsen sind derzeit über 200 neue Anlagen entweder schon im Bau oder noch in Planung. Und bei den bereits bestehenden Anlagen haben nur etwa die Hälfte der Betreiber von den Behörden Auflagen bekommen, für Mindestwasserstände im Fluß zu sorgen. Doch in der Praxis halten sich viele nicht daran, bemängeln Naturschützer. Denn die Wasserbehörden haben nicht genug Personal, um die Einhaltung der Vorschriften regelmäßig zu überprüfen.

Umweltinteresse steht gegen Umweltinteresse. Auf der einen Seite wird klimaschädliches CO2 eingespart – wofür es Hilfen aus dem Staatssäckel gibt. Auf der anderen Seite werden Biotope geopfert. Weil insbesondere in Ostdeutschland zahlreiche kleine Wasserkraftwerke geplant sind und bei vielen der insgesamt über 4.500 Anlagen in den kommenden Jahren eine Verlängerung der Konzession zur Debatte steht, hat das Umweltbundesamt beim Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) eine Studie in Auftrag gegeben, die die Kosten und Nutzen gegeneinander abwägen soll. Das Ergebnis ist eindeutig: Bei Mühlen, die weniger als 100 Kilowatt Leistung bringen, übersteigen die ökologischen Kosten fast immer den Vorteil, der durch die Vermeidung von Kohlendioxid-Emissionen entsteht.

Die Wissenschaftler haben zur Lösung der Fragestellung die Methode der monetären Abwägung positiver und negativer Umwelteffekte angewandt. Dabei wird zum einen berechnet, wieviel CO2 durch die Wasserkraft vermieden wird, weil die Energie nicht durch konventionelle Kraftwerke erzeugt werden mußte. Das Ergebnis ist ernüchternd: 826.500 Tonnen Kohlendioxid sind der Atmosphäre im Jahr 1994 durch kleine Wasserkraftwerke erspart geblieben. Anders gesagt: Wenn der Strom konventionell erzeugt worden wäre, hätte Deutschland 0,1 Prozent mehr CO2 in die Luft geblasen.

Dem haben die IÖW-Forscher die Kosten für Bau und Betrieb der Anlagen sowie für Schutz- und Ausgleichsmaßnahmen gegenüber gestellt. Nicht der Schaden, den ein toter oder nicht geschlüpfter Fisch darstellt, ging somit in die Berechnung ein, sondern der notwendige Aufwand, um diesen Schaden zu verhindern. Ergebnis: Die Kosten für die Vermeidung von Kohlendioxid-Emissionen durch kleine Wasseranlagen sind viel zu hoch. Durch Investitionen in Stromsparmaßnahmen könnte für das gleiche Geld ein viel stärkerer Minderungseffekt bei Kohlendioxid-Emissionen erzielt werden. „Dies gilt sowohl für den Neubau von Anlagen als auch für die Verlängerung von Wasserrechten.“

Deshalb raten die Wissenschaftler davon ab, solche Anlagen weiter zu subventionieren und fordern, das Klima statt dessen besser dadurch zu schützen, daß der Ausstoß von Kohlendoxid finanziell belastet wird. Das wäre effektiver und preisgünstiger. „Die heutige Praxis, den Bau von kleinen Wasserkraftanlagen zu fördern, aber den Emittenten die kostenlose Nutzung der Atmosphäre zu gestatten, führt letztlich nur dazu, daß die Kohlendioxid-Emissionen weiter ansteigen und gleichzeitig schützenswerte Gewässer verbaut werden.“