Arbeitswillig als Los

■ Doppelt soviele Arbeitslose wie offiziell zugegegen: Neue Studie über stille Reserve

Die Statistik des Arbeitsamtes hält offensichtlich nicht, was sie verspricht. Denn „hinter jedem Erwerbslosen steht in Hamburg ein weiterer potentieller Arbeitnehmer in der stillen Reserve.“ Das ist das Ergebnis einer Studie, die Arbeitssenatorin Karin Roth (SPD) gestern präsentierte. „Eigentlich“, so Roth, „suchen also doppelt so viele Menschen Arbeit wie offiziell registriert.“ Die Untersuchung, die von der Forschungsstelle ISA Consults im Auftrag der Behörde für Arbeit erstellt wurde, kommt zu dem Ergebnis, daß 1995 rund 82.000 Menschen in Hamburg zu dieser stillen Reserve zählten. 77.000 weitere Menschen waren damals offiziell als Erwerbslose registriert.

Die Gruppe der arbeitswilligen Arbeitslosen ist äußerst heterogen. Gingen Schätzungen früher davon aus, daß hauptsächlich Hausfrauen und Mütter zur stillen Reserve des Arbeitsmarktes zählen, so revidiert die Hamburger Studie dieses Bild: 46 Prozent der Reserve sind inzwischen Männer. Dennoch würden 16.000 Frauen gerne arbeiten, suchen jedoch gar nicht erst aktiv, weil ihnen familiäre Verpflichtungen und fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten die Hände binden.

Rund 14.000 HamburgerInnen, die die Studie zur stillen Reserve zählt, machen Fortbildungen oder sitzen auf ABM-Stellen. 14.000 ältere Menschen würden gerne noch arbeiten, sind aber – oft aus betrieblichen Gründen – vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Bedenklich ist vor allem, daß immerhin 12.000 Jugendliche keine Arbeit oder keinen Ausbildungsplatz finden. Viele von ihnen stecken in sogenannten Warteschleifen, bereiten sich also in schulischen oder praktischen Kursen auf den Beruf vor.

Rund ein Viertel derjenigen, die zur stillen Reserve zählen, sucht aktiv einen Arbeitsplatz und steht damit in direkter Konkurrenz zu all jenen, die das Arbeitsamt in seiner Kartei führt. Und sie sind in der Regel flexibler und mobiler als ihre Kollegen vom Amt. Immerhin ist eine Studentin, die ein Zweitstudium beginnt und sich parallel um Arbeit bemüht, oftmals attraktiver für Arbeitgeber als der Akademiker, der schon seit drei Jahren beim Arbeitsamt als Karteileiche geführt wird. Karin Flothmann