Tatort im Kiez

■ Stammgäste verteidigen Sitzplätze

Schon am Sonntag wußte das halbe Viertel, daß am Montagabend wieder mal das Fernsehen kommt. Bremens urbanster Stadtteil ist ein Dorf, wo nichts besonders lang geheim bleibt. Dreharbeiten für den dritten „Bremer Tatort“ standen an, aber mit dem Fernsehen ist der Viertelmensch vertraut. Zwischen Sielwall und Ziegenmarkt werden Kameras inzwischen eher ignoriert.

In der Toreinfahrt zwischen „Speiche“ und „Piano“ wird die Eröffnungsszene gedreht. Ein Bündel Mensch liegt sozialkritisch im Dreck und bejammert das Elend der Welt. Die Vertreter der richtigen Polizei haben Sorge zu tragen, daß nicht zuviel echtes Kolorit in's Bild läuft. Auch die Feuerwehr aus Pinneberg steht herum, verpaßt das erste Spiel der deutschen Nationalmannschaft und wartet auf den „Regeneinsatz“. „Cut“ ! Die Szene ist „gekauft“ und es geht weiter in der „Steintor Schänke“. Eigentlich sollte im „Swing“ gedreht werden, aber der Aufnahmeleiter wollte es noch „echter“, hatte aber die Rechnung ohne die Stammgäste gemacht, die eisern ihre Hocker verteidigen und sich weigern zu gehen.

Hektisches Treiben derweil bei „Video Stern“, wo, gegen fürstliches Entgeld, bis morgens um vier Uhr spontan weitergedreht werden soll. Der Aufnahmeleiter war begeistert über die authentische Videothek und befand, daß „alles unbedingt so muddelig bleiben muß“. Fachhändler Johnny war davon weniger begeistert und dekorierte schnell noch mit feuchtem Tuch ein wenig um. In der „Schänke“ gingen die Probleme weiter, und man entschloß sich irgendwann, die Stammgäste zu lassen, wo sie waren. „Das ist nur eine kurze Szene, wo die Kommissarin die Fotos eines toten Kindes herumzeigt“, sagt Kerstin, die dafür sorgt, daß auf der Straße niemand durch's Bild rennt. „Zum Glück zahl ich keine Rundfunkgebühren“, sagt ein Passant und wendet sich ab, während Handverkäufer von „Kassiber“ und „taz“ versuchen, den kleinen Menschenauflauf für sich zu nutzen. Vor der „Schänke“ begehren die Punker weiter Einlaß, werden aber vom Security-Bullen unsanft abgewiesen und auch mal die Stufen runtergeschubst, wo sie sich mit Artgenossen zusammenrotten, die an diesem Abend auch nichts anderes vorhaben.

Weltmenschlich steht man auf der Straße um fachlich zu kommentieren, was die Crew von „Radio Bremen“ für rund 80.000 Mark zusammendreht. Man ist sich einig, daß der erste „Tatort“ mit der Bremer Kommissarin unterhaltungstechnisch eine mittelschwere Katastrophe war. Muttern löst den durchsichtigen Fall, man möchte fast sagen „das Fällchen“ mit der Tochter in der Badewanne und repräsentiert das Klischee der „alternativen Frau“ mit fliegenden Fahnen und Seidenschals, viel Verständnis für den „kleinen Kriminellen von der Straße“ und natürlichem Joghurt zum Dessert. Den zweiten Fall, irgendwas mit Neonazis, hat scheinbar niemand gesehen, aber wer guckt auch schon „Tatort“, wenn nicht zumindest jemand mitspielt, den man kennt?

StErn

Sendetermin: 13. September