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: Vermischte Identitäten beim „Jazz across the border“ im HdKdW

Tendenz schamanistisch: Mari Boine Foto: Motor

Das Wort Jazz hat mehr als eine Bedeutung. Neben der Musik kann auch das Drum und Dran gemeint sein. Beim heute beginnenden viertägigen Festival „Jazz across the border“ im Haus der Kulturen der Welt spielt beides eine Rolle.

„Jazz jenseits der Grenzen“ ist den Veranstaltern das inhaltliche Credo. Zugleich findet das Festival im Kontext der Themenreihe „Europa neu denken“ statt. Deren wichtigstes Motto: Kulturelle Identität muß in allen europäischen Ländern grenzüberschreitend gedacht werden. Migration ist eine Realität, der sich niemand entziehen kann. Das Beharren auf nationaler Identität in der Schönbohmschen Blut-und-Boden-Manier kommt einer Kriegserklärung an die ethnischen Minderheiten gleich. Angesichts der derzeit geschürten Anpassen-oder-verschwinden-Debatte ist jede Veranstaltung, die zeigt, wie sich unterschiedliche kulturelle Einflüsse durchdringen, ergänzen und erweitern, fast schon eine Kampfansage. Ob die Macher von „Jazz across the border“ allerdings eine solche Verknüpfung zwischen Musik und Politik beabsichtigt haben, steht dahin.

Europäischer Jazz als eigene Ausdrucksform – nicht als Kopie des amerikanischen Jazz – wird auf dem Festival in Konzerten, Filmen und Vorträgen vorgestellt. Der Mix aus verschiedenen musikalischen Traditionen und Einflüssen, die die Migranten und Migrantinnen aus aller Welt nach Europa brachten, wird derzeit in allen Musikgenres als eine Quelle für ganz neue Töne und Rhythmen. Dies gilt auch für den Jazz. So gibt es auf dem Festival beispielsweise brasilianisch Zartes beim Wahlberliner Eudinho Soares, afrikanisch Rhythmisches beim Wahlpariser Brice Wassy, malayisch Funkiges bei der jungen Londonerin Nikki Yeoh. Nicht immer ist die Herkunft so eindeutig aus der Musik herauszuhören wie bei dem bulgarisch-russischen Fairy Tale Trio, das hemmungslos Jazz, Improvisation und Balkanfolklore mischt. Die Samin Mari Boine wiederum rockt sanft und jazzt kaum erkennbar, dafür bringt sie einen auf schamanische Riten zurückgehenden Gesang mit. Ihre Musik als Jazz zu bezeichnen, ist zwar gewagt, aber der große Fürsprecher dieser Musik, Joachim Ernst Behrend, wird in seinem Vortrag „Jazz und Weltmusik“ bestimmt einen Bogen spannen, der all die ausgelegten Fäden des etwas disparaten Festivalprogramms auf eine menschliche Weise zusammenführt. Waltraud Schwab

Jazz across the Border, 17.–20.6., Haus der Kulturen der Welt