Wer kann Fußball spielen?

Nach dem souveränen 2:0 über die USA hat für Berti Vogts eine entspannte Woche begonnen – in der er allerdings unbedingt an seinem Mittelfeld arbeiten muß  ■ Aus Paris Peter Unfried

Was erwartet eine Mannschaft, die gewonnen und die Tabellenführung der Gruppe übernommen hat und in der zudem einer für den anderen spielte, wie ihr Libero Olaf Thon findet? Eine angenehme Woche, möchte man meinen. Das hat seine Vor-, aber wohl auch Nachteile, weshalb sich DFB- Trainer Berti Vogts nach genauer Abwägung entschlossen hat, das 2:0 gegen die USA zum WM-Auftakt mit einem strengen Gesicht aufzunehmen. Drei positive Punkte hat er benannt, das Spiel im Pariser Parc des Princes betreffend: den Sieg, die Punkte, den inspirierten Spielbeginn. Dann kam aber schon das berühmte Wort. Ordnung. „Die haben wir verloren“, sagt Vogts, „warum auch immer.“ Nicht zur Gänze, aber doch so, daß die – freundlich formuliert – mittelmäßigen US-Amerikaner etwas rumspielen durften.

Alles in allem wird Vogts aber zufrieden sein. Es gilt, was Olaf Thon sagte: „Nicht alles Gold, aber 2:0, erstes Spiel, ich würde sagen, ein gelungener Auftakt, ja.“ Eine souveräne, aber unaufregende Leistung ist in mancher Beziehung optimal: Es läuft, aber nicht so, daß man übermütig werden müßte. Den Engländern und Franzosen geht es ähnlich.

Die Gegner wissen nun, was sie von den Deutschen zu erwarten haben – das Erwartete: kühles Rasenmanagement von weniger euphorischen als rational kalkulierenden Seniorprofis. Diese Grundstimmung führt dazu, daß ein Mann wie Jens Jeremies besonders auffällig wird (siehe Mann des Tages). Jeremies (24) hat im Parc des Princes bei Vogts und Nation das Gefühl intensiviert, er könne dem Team etwas Zusätzliches geben. Damit ist nicht gemeint, daß er schnöde Claudio Reyna zum Nicht-Spielmacher reduzierte. „Wir brauchen Spieler“, sagt Klinsmann, „die unsere Idee vom Pressing verwirklichen.“ Wenn Rackern poetry sein sollte, war Jeremies poetry in motion. Hamann? Er wirkt halt längst nicht so deutsch wie sein neuer Bayern- Kollege. Er kann es aber auch und zeigte das nach seiner Einwechslung.

Über Thomas Häßler und Andreas Möller wird Vogts diese Woche weiter nachdenken. Möller schaute nach seinem Kopfballtor so, als könne er es selbst nicht glauben. Es war ja auch erst sein zweiter Turniertreffer seit 1990 und dabei weniger ein Verdienst des Schützen als Probleme mit „basic defending“ (US-Trainer Sampson). Am Ende nahm Vogts Möller sogar ungnädig raus, weil er „zu null spielen wollte“.

Da saß Kollege Thomas Häßler längst draußen, dessen weiteres Befinden in diesen Tagen beobachtet werden muß – nicht nur, was seinen bändergedehnten Fuß betrifft, der ihn gestern am Training hinderte. Die Deutschen funktionierten wie die berühmte Maschine, von der gerne geredet wird. Es fiel ihnen aber so gut wie nichts Überraschendes ein – und das ist kein gutes Zeugnis für die vermeintliche Kreativquelle Häßler. Stürmer Klinsmann entdeckte zudem „hinter uns die Löcher“, Trainer Vogts will bereits gegen Jugoslawien „die Räume verengen“ und sah nach Hamanns Einwechslung „mehr Ordnung“.

Also: Paris ist Geschichte und das dortige deutsche Mittelfeld womöglich auch. Gestern hat man in Nizza bereits wieder geistig und physisch an einer optimalen Besetzung gearbeitet. Es gilt ein kleines „Forechecking-Problem“ (Klinsmann) in den Griff zubekommen, die „Laufbereitschaft“ (Thon) zu steigern, um das Verteidigungsnetz so eng zu machen, daß man auch richtige Gegner damit erstickt. Vogts weiß genau, daß er vor allem höheres Tempo braucht. Ob das sein angejahrtes Team zustande kriegt, ist unklar. Daß zwei 24jährige auf den besonders laufintensiven Positionen helfen könnten, dagegen nicht.

In der Woche nach dem ersten Spiel, sagt der turniererfahrene Kapitän, „werden die Strukturen ganz schnell klar“. Klinsmann hat seine Chefposition bestätigt, auch wenn das nicht jeder Mitspieler so sehen will. Er und Bierhoff sind Vogts' Sturmduo, an der Aufgabenverteilung kann noch etwas getüftelt werden. Köpke, der diesmal mangels Gegenspieler überflüssige Manndecker Kohler, der angenehm souveräne Libero Thon addieren sich mit den beiden zum Kern des Teams. Dem Rekonvaleszenten Christian Ziege hat Vogts mit der Einwechslung „ein Zeichen gegeben“. Vertreter Reuter ist und bleibt Vertreter – und spielte auch so.

Ansonsten aber hat Vogts mit seinen Auswechslungen und seiner Kritik dafür gesorgt, daß die Situation bis auf wenige Ausnahmen eine offene bleibt. Fast alle dürfen hoffen und werden daher rennen, statt zu reden. Das gilt insbesondere für das Mittelfeld, den Ort, an dem sich sehr wahrscheinlich der Verlauf dieser WM entscheiden wird. „Wir müssen“, sagt Jeremies, „besser Fußball spielen.“ Das ist klar. Thon und er taten, was sie konnten. Unklar ist bis auf weiteres: Wer wird es hauptamtlich übernehmen?

USA: Keller – Dooley – Pope, Regis – Burns (46. Hejduk), Deering (70. Ramos), Maisonneuve, Jones – Stewart, Reyna – Wynalda (65. Wegerle)

Zuschauer: 49.000; Tore: 1:0 Möller (9.), 2:0 Klinsmann (65.)

Deutschland: Köpke – Thon – Wörns, Kohler – Reuter (69. Ziege), Jeremies, Heinrich – Häßler (50. Hamann), Möller (90. Babbel) – Klinsmann, Bierhoff