Erfundene Haschorgie

Amerikanischer Journalist als Fälscher entlarvt  ■ Aus Washington Peter Tautfest

Journalismus und Fälschung sind Zwillingsbrüder, die sich zueinander verhalten wie Dorian Gray zu seinem häßlichen Bildnis, oder wie Dr. Jekyll zu seinem Alter ego Mr. Hyde. Die Literatur hat an der Fälschung ein ebenso reges Interesse wie der Journalismus am Spinnen schöner Geschichten. Die Durchdringung der Genres ergötzt lesende Zeitgenossen, wenn das hübsch literarisch verpackt ist wie in Nicolas Borns 1984 erschienenem Beirut-Roman „Die Fälschung“, der allem Journalismus a priori Fälschung unterstellt. Für den praktischen Hausgebrauch aber bestehen zeitgenössische Leser auf strikter Trennung von Berichterstattung und Geschichtenerzählen. Und da hat es nun wieder mal einen fabulierfreudigen Journalisten erwischt. Stephen Glass, vorwiegend für die konservative amerikanische New Republic, aber auch mal für die Magazinbeilage der New York Times tätig gewesen, ist als Erzähler von Lügenmärchen entlarvt. Seine Geschichten waren aber auch zu schön: etwa die von der Hasch- und Bierorgie, in die eine Konferenz konservativer Politiker mündete, bei der sich alle auszogen und es miteinander trieben; oder die von den drei Praktikantinnen aus dem Weißen Haus, die sich bei Cocktails in einer Washingtoner Bar über Clintons Sexualleben unterhielten. Dabei wird das sogenannte „Fact Checking“ im amerikanischen Journalismus eigentlich sehr ernst genommen und ist Aufgabe der Redaktion. Das renommierte National Geographic Magazine beispielsweise treibt dieses Nachprüfen der Behauptungen bis zum Exzeß. Angeblich prüft sie sogar die tatsächliche Höhe des Weizens, wenn ein Journalist schreibt, er habe im Mai knietief in der aufkeimenden Saat gestanden. Gleichwohl ist es dem fabulierfreudigen Journalisten Glass gelungen, insgesamt 41 gute Geschichten unterzubringen, von denen gut zwei Drittel nach Auskunft der Chefredaktion völlig frei erfunden sind oder doch mit erfundenen Belegen und Gewährspersonen arbeiten. Der Chefredakteur des New Republic, Charles Lane, handelte schnell. Er entschuldigte sich bei den Lesern und entließ Glass. „Wir haben dafür keine Entschuldigung“, schrieb die Redaktion in einer Notiz an die Leser. „Wir bitten nur alle Betroffenen zutiefst um Verzeihung.“

Der Skandal trifft in den USA mitten in eine Diskussion über die Arbeitsmethoden der Medien. Die Affäre um die angebliche Beziehung zwischen Bill Clinton und Monica Lewinsky hat in neue Abgründe der Sensationsberichterstattung mit Hilfe zweifelhaftester Quellen geführt. Die Aufregung über die Verfehlungen des Stephen Glass wirkt allerdings künstlich. Nicht diese Art Fälschung ist das größte Problem des amerikanischen Journalismus, dessen Ruf zur Zeit denkbar schlecht ist und der ständig Leser und Zuschauer verliert. Die stolze Tradition des investigativen Journalismus und des „muckraking“ (Dreckschleudern) besteht fort – doch eher als Ausnahme. Es dominiert die Nachricht als möglichst dramatisch inszenierte Seifenoper und deren Reduktion auf die Frage, wer aus dem Konflikt Gewinn zieht. „Reduction ad electum“ nennt der Medienkritiker James Fallows diese Reduzierung aller Nachricht und aller gesellschaftlichen Probleme auf die simple parteipolitische Wer-wen-Frage. Glass' Entlarvung wird daran schwerlich etwas ändern.