Stille Tage mit Berti
: „Schröder verrückt“

■ Berti Vogts mag die Besuchsabsage des SPD-Kanzlerkandidaten nicht akzeptieren

Tabellenführer Berti Vogts ist inzwischen so selbstsicher, daß er Gerhard Schröder gestern nachmittag eine Art Ultimatum gestellt hat. „Ich gehe davon aus, daß er kommt“, schnarrte der DFB-Trainer, als diese kleine, aber raffinierte Kolumne ihn zum Zwecke ihrer Vollschreibung mit der eben gelaufenen Meldung konfrontierte, der Kanzlerkandidat sehe von einem Besuch ab.

Warum wollte Vogts das nicht glauben? Der hart arbeitende Mann hat im geheimen vor der WM natürlich auch die führenden Sozialdemokraten getestet. Sein Urteil über Schröder: „Er ist fußballverrückt.“

Nun stellen sich Fragen: Gibt der Fußballverrückte klein bei und eilt doch noch nach Saint Paul de Vence? Und warum will er eigentlich die freundliche DFB-Einladung ablehnen? Fürchtet oder ahnt er, daß der DFB-Präsident Egidius Braun „in den Tiefen meines Gemütes“, wie er das zu nennen beliebt, nicht dieselbe „aufrichtige Freude“ empfindet wie beim Besuch des amtierenden Kanzlers? Oder weiß er, daß in Nizza nichts mehr zu holen ist, nachdem Titelverteidiger Kohl in seiner absolutistischen Art das Wesentliche bereits gesagt hat (“3:1, 2:1, äh 2:0“).

Der Kandidat, so hatte es geheißen, wolle die Konzentration der deutschen Fußballer nicht stören. Heißt das nicht, daß Kohl die Konzentration gestört hat, als er vor den „Herren von der Mannschaft“ von seinen Restqualitäten als Fußballer (“Ich glaube schon, ich bring' das Ding noch rein“) fabulierte? So einen schlimmen Verdacht konnte Berti Vogts natürlich nicht in der Turnhalle stehenlassen. „Im Gegenteil“, sagte er und lächelte, „das hat man ja am Ergebnis feststellen können.“

Es ist wirklich eine verzwackte Lage für Schröder: Kommt er nicht, ist der leicht beleidigte Vogts womöglich schwer beleidigt. Und das ist gefährlich. Schließlich will er spätestens beim EM-Sieg 2000 in der deutschen Kabine stehen und jenen „wunderbaren Gesängen“ (Kohl) lauschen, die die Profis einem Kanzler nach einem EM-Sieg darbringen (“Helmut, senk den Steuersatz“).

Kommt er – und das nächste Spiel geht verloren, ist nicht nur Vogts, sondern das ganze Land beleidigt. Natürlich zu Recht. Dann könnte für ihn gelten, was der weise Vogts gestern zum Abschluß einer kleinen, offenbar von Martin Luther King inspirierten Rede (“Wir haben einen Traum. Diesen Traum wollen wir erfüllen.“) sagte. Er sagte: „Aber Träume zerplatzen auch sehr schnell.“

Ja, es herrscht noch immer wunderbare Stille in Nizza. Der Sieg hat Vogts entspannter gemacht. Er hat den Anzug ausgezogen und trägt nun wieder sein kurzes schwarz-rot-goldenes Hemdchen zur Trainingshose. Es gibt keinen Ärger weit und breit. Um mathematisch genau zu sein: Der Ärger ist von Saint Paul und Nizza so weit entfernt wie der Reservist Lothar Matthäus von einer Nominierung. Spielt Lothar vielleicht am Sonntag? Berti Vogts in der Stimmung von gestern wischt solche Fragen einfach lässig weg. „Jeder Spieler muß damit rechnen zu spielen“, sagte er. Lothar hilft auch von der Bank aus, und zwar „mit einer solchen Begeisterung“, daß man ihn dort eigentlich auch gar nicht mehr weglassen kann. pu