: Neue Orthodoxe Filmschule
■ Die Filmwissenschaftlerin Mihal Friedman nahm beim 4. Jewish Film Festival in Berlin Stellung zur aktuellen Krise des israelischen Films
Sie entkomme nicht der Ambivalenz, schrieb Régine Mihal Friedman, nachdem sie Anfang der Achtziger die wohl bekannteste NS- Schauspielerin, Kristina Söderbaum, Gattin von Veit Harlan („Jud Süß“) und Verkörperung des nazistischen Weiblichkeitsideals, zu einem Gespräch in deren Dahlemer Villa traf („Mein Tag mit Kristina“). Hier die jüdische Filmwissenschaftlerin, die sich „unausweichlich einen apologetischen Diskurs, in dem die Vergangenheit nach Gesichtpunkten der Selbstrechtfertigung, der Absolution uminterpretiert wurde, anhören mußte“, dort die Schauspielerin, die sich noch immer vor allem als Opfer des Pygmalion Harlan sieht.
Friedman, die in Frankreich aufwuchs, hat diese Konfrontation explizit auch in ihrem in Frankreich erschienenen Buch „Das Bild des Juden im NS-Film“ gesucht. In Deutschland veröffentlichte sie unter anderem in der Zeitschrift „Frauen und Film“, 1995 hatte sie eine Gastprofessur in Frankfurt am Main inne. Die Professorin für Filmwissenschaft an der Universität von Tel Aviv arbeitet momentan zum Themenkomplex der sogenannten „Second Generation Films“, also der Filme, die sich aus der Perspektive der Kinder von Überlebenden des Holocaust mit dem Verhältnis zu den Eltern und dem Familien- und zeitgeschichtlichen Hintergrund befassen.
taz: Kürzlich demonstrierten junge israelische FilmemacherInnen und Filmstudenten vor der Knesset. Dabei ging es um die offizielle Filmförderung, deren Etat jüngst um fast die Hälfte gekürzt wurde, von 16 Millionen Shekel auf neun. Ist die staatliche Filmförderung und damit die Zukunftsperspektive für junge Spielfilmregisseure sozusagen auf dem Nullpunkt?
Régine Mihal Friedman: Tja, das israelische Kino untersteht dem Ministerium für Industrie. Der heutige Minister, Herr Anatoli Scharanski, interessiert sich nicht fürs Kino, bestenfalls als Propagandamittel. Jedenfalls hat er wirklich alles gestrichen. Er sagt sogar öffentlich, es gäbe soviel Wichtigeres als das Kino, wie etwa die neue Emigration. Sicher, die ökonomische Lage in Israel ist momentan nicht gut, es gibt eine steigende Arbeitslosigkeit, und das wird sich noch verschärfen. Aber wir haben eine konservative, keine sozialistische Regierung, und dort legt man auf das Kino kein besonderes Augenmerk. Das ist ein Rückschritt zum Tenor eines Ben Gurion, der während seiner Amtszeit das Kino als Unterhaltung für Kulturlose bezeichnet hat. Im Verhältnis zu den anderen Künsten ist das Kino immer noch nicht ganz anerkannt als eigenständige Kunstform. Also schiebt man es ab in den allgemeinen Medienbereich, zum Fernsehen, das sich ja auch privat finanziert.
Wie verhält es sich in dem Zusammenhang mit dem zunehmenden politischen Einfluß der Orthodoxen?
Es ist sehr interessant, was da passiert. Einerseits gibt es das Bildverbot, in einem religiösen Haushalt gibt es keinen Fernseher. Aber zur gleichen Zeit wurde von den Orthodoxen eine eigene Filmschule eröffnet. Denn sie sehen sehr wohl, wie wichtig heute das Fernsehen und das Visuelle für die jungen Leute ist. Über mangelnde Finanzierung braucht die Filmschule, ebenso wie andere religiöse Schulen, nicht zu klagen. Allerdings fehlen ihnen die Fachleute, so daß kurioserweise nun Filmabsolventen ohne religiösen Hintergrund dort unterrichten. Das ist ein Novum. Man darf auch nicht vergessen, daß auch das Ministerium für Erziehung heute von einem orthodoxen Juden geführt wird. Auch das ist eine Wende, die man in einiger Zeit spüren wird.
Bisher galten durchschnittlich zwölf Filme pro Jahr für die israelische Filmproduktion als Richtwert. Im vorigen Jahr waren es gerade mal zwei. Wie sieht die Zukunft aus?
Werschowski, der Kulturreferent der Stadt Tel Aviv, hat sogar gesagt, im nächsten Jahr wird es keinen einzigen Film geben. Obwohl er kein Minister ist, ist diese Position natürlich politisch sehr brisant. Er hat das zudem in illustrer Runde gesagt, die Ministerin für Kommunikation, Limor Livnat, war dabei. Es war bei der Eröffnung des 7. Internationalen Studentenfilmfestivals. Dort hat sie das gesagt, viele Botschafter waren geladen, aus Frankreich, Deutschland und Amerika. Sie wollte uns warnen und hat genau diese prominente Situation dafür genutzt. Das ist natürlich ein Desaster für die Studenten und eine Bedrohung für die ganze Filmindustrie.
Heißt das, die Förderung nach einem Filmförderungsgesetz ist in naher Zukunft illusorisch?
Ich hoffe sehr, daß der Kampf der jungen Filmemacher, die sich organisieren, erfolgreich sein wird. Die Erfahrung lehrt, daß in der israelischen Gesellschaft, wenn man demonstriert und nachdrücklich eine öffentliche Auseinandersetzung einfordert, dies auch Ergebnisse zeitigt.
Inwieweit ist das diesjährige Berliner Festival „Zeitgenössisches Israelisches Kino“ repräsentativ für die Filmszene?
Wir haben in der letzten Zeit vor allem interessante Kurzfilme und Arbeiten auf Video gehabt. Beispielsweise Dan Katzirs „Out for Love... Be back shortly“ oder der palästinensische Film „Chronicle of Disappearance“ von Elia Suleiman. Gewissermaßen ein Cinéma pauvre. Man weiß ja, daß Dokumentarfilme viel weniger Geld kosten. Gleichzeitig aber geben diese Filme recht gut wieder, was uns heute beschäftigt, in der Ära nach Rabin. Der problematische Friedensprozeß und die Armee sind dabei natürlich Dauerthemen.
Wie beurteilen Sie das Festival hier in Berlin im Vergleich mit anderen Jewish Film Festivals, beispielsweise in New York?
Für mich war es diesmal sehr interessant, weil das Festival Filme ausgesucht hat, die eine Wende, neue Wege zeigen. Das liegt natürlich daran, daß sehr viel mehr Kurz- und Dokumentarfilme liefen als Spielfilme. Das kommt dieser Entwicklung zugute. Das Festival hat den Einfluß von Rabins Mördern auf das Leben der jungen Leute zu zeigen versucht. Der Eröffnungsfilm des Festivals, „Afula Express“ von Julie Shies, wurde von den Amerikanern nicht so sehr geschätzt, weil sie Filme wollen, in denen die Israeli starke Protagonisten sind. Die Amerikaner vom Jüdischen Filmfestival in Boston, Washington und New York haben eine bestimmte Idee, wie der Israeli aussehen darf für ihr Publikum. Das hiesige Festival ist nicht nach dem Klischee gegangen, sondern wollte die wirklichen gesellschaftlichen Probleme zeigen.
Das zionistische Kino der 20er und 30er Jahre war ja ein Propagandakino, das die Errungenschaften der Pioniere und Kibbuzim anpries. Sie haben in Ihrem Vortrag darauf verwiesen, wie konstitutiv der männliche Uniformträger und das Militär überhaupt für das israelische Kino sind und waren. Heute sind die Intifada und der israelisch-palästinensische Konflikt ein häufiges Thema der Filme. Was hat sich verändert?
Vor allem war es ein sehr machistisches Kino, das hat sich sehr verändert. Es gibt eine Verschiebung der Lager. Es gibt jetzt viele „Andere“. Früher war vielleicht nur die Frau das absolut „Andere“, während der Mann sich mit den anderen Männern beschäftigt hat. Die Frau war das „Andere“ und damit verdächtig, denn sie saß zu Hause. Die Männer waren an der Front, die Frauen nicht. Die Männer waren verletzt, die Frauen nicht.
Es gab eine ganze Anzahl Filme ohne Frauen, sie tauchten im Bild gar nicht auf. Denn das ist eben nicht Hollywood. Eine feministische Theorie besagt, Frauen im Kino seien das erotische Objekt, ihr Auge, ihre Brust. Im israelischen Kino hatte sie nicht einmal einen Körper! Währenddessen der Männerkörper immer da ist, wie beispielsweise in „Peeping Tom – die Voyeure“ von Uri Zohar, wo die Männer nackt sind und zwischen ihnen sogar eine homoerotische Spannung existiert. In all diesen Filmen gibt es zärtliche Momente zwischen Männern, aber mit der Frau überhaupt nicht. Dort gibt es keine Erotik, sondern Gewalt unter dem Aspekt Vergewaltigung. Das ist vorbei, jetzt gibt es auch den palästinensischen „Anderen“. Auch Homosexualität ist kein Tabu mehr. Da war Dana International ein kleiner Triumph über die Orthodoxen.
Wie genau beschreiben Sie die Position des sogenannten „Anderen“?
Ich habe mir beim israelischen Kino immer die Frage gestellt, warum dieses Kino so hart ist, ohne Gefühle, aber auch ein schmutziges Kino. Es geht um Exkremente, einer muß aufs Klo, man übergibt sich. Alles was der Körper von sich gibt, sagt Kristeva, ist zugleich organisch und anorganisch, sie nennt es das „Verworfene“. Es ist etwas zwischen Leben und Tod. Interessant ist nun, daß in der jüdischen Tradition die Leiche etwas ist, das nicht berührt werden darf, mit Ausnahme von Geistlichen. Auch das ist das Verworfene. In der jüdischen Tradition ist die Frau auch die halbe Zeit ihres Lebens unrein, sie hat dies und das, Menstruation, Entbindung.
Heute, wo man soviel vom Friedensprozeß erwartet, jetzt, wo es noch andere Optionen als den Krieg gibt, hat sich die gesellschaftliche Realität der Frauen, der Palästinenser und der Homosexuellen verändert. Heute ist das Kino viel sauberer, man hat nicht mehr diese Obsession. Die „Anderen“ rücken näher.
Haben Sie trotzdem die Hoffnung, daß sich das israelische Kino von seiner momentanen Krise erholt?
Das heutige israelische Kino ist kein Kino des Visuellen, sondern der Inhalte und des Dokumentarischen. Heute ist es möglich, soviel mehr zu zeigen, was vorher keine Repräsentanz hatte. Deshalb ist es so entscheidend, daß die Kunst gefördert wird, weil sie immer zukünftige Probleme voraussieht. Schon Anfang der achtziger Jahre hat es Filme über gute Beziehungen zwischen Palästinensern und Israelis und zur Intifada gegeben. Sie wurden als Individuen sichtbar. Interview: Gudrun Holz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen