TGV und ICE fahren auf einem Gleis

■ Auf dem asiatischen Markt haben die französische GEC Alsthom (TGV) und Siemens (ICE) den Kapitalismus längst außer Kraft gesetzt

Jahrelang lieferten sich die beiden Konkurrenten GEC Alsthom in Frankreich und die deutsche Siemens AG weltweit Schaukämpfe. Ziel war es, die Überlegenheit der eigenen Technik zu beweisen. Neben immer atemberaubenderen Geschwindigkeitsrekorden kamen dabei auch andere „Verkaufsargumente“ zum Einsatz. So schickte Frankreich 1990 seinen Premierminister Michel Rocard auf Werbetour nach Seoul. Deutschland verlud einen kompletten ICE- Triebwagen plus Waggon auf ein Schiff nach Süd-Korea. Gleichzeitig unterboten sich die beiden Europäer und der Japaner Mitsubishi, dessen Schnellzug „Shinkansen“ mit im Rennen war, mit immer neuen Niedrigpreisen. Am Ende bekam GEC Alsthom den Zuschlag für Süd-Korea. Schon vorher hatten die Franzosen große Märkte an der Ostküste der USA, in Texas und in Spanien bekommen, während die Deutschen bloß die Niederlande von ihrer Technik überzeugen konnten. Doch angesichts des ruinösen Preiswettbewerbs waren es bittere Siege, die für GEC Alsthom entschieden geringere Gewinne als erwartet abwerfen sollten.

Im März 1997 setzten die beiden europäischen Hochgeschwindigkeitskonkurrenten ihrem Wettkampf ein Ende. Sie unterschrieben ein „Euro-Venture“, das die gemeinsame Vermarktung ihrer Züge auf dem lukrativen asiatischen Markt vorsieht. „Wir haben aus Korea gelernt“, erklärte ein Siemens-Sprecher diese Außerkraftsetzung des Kapitalismus. Seither arbeiten die beiden zusammen – zwar ohne gemeinsame Entwicklung und Technologie, aber mit einer jeweils neuen Zusammenstellung aus den besten Teilen der beiden Unternehmen. Das senkt die Werbe- und Personalkosten, verhindert den Preiswettkampf und ist ein probates Mittel gegen künftige neue Mitbieter.

Die Zukunft des „Euro-Venture“ ist vielversprechend – vor allem in Asien. Noch in diesem Sommer will Taiwan über eine 345 Kilometer lange Strecke von Taipeh nach Kaohsiung (Investitionsvolumen: rund 20 Milliarden Mark) entscheiden, für die ein zweistöckiger französischer TGV hinter einer deutschen ICE-Lok der bestplazierte Kandidat ist. Anfang des nächsten Jahrtausends will China den Hochgeschwindigkeitszug „Gaoshu Liche“ für die 1.360 Kilometer lange Strecke von Peking nach Shanghai bauen. Auch Malaysia, Thailand und Birma zeigen Interesse an Hochgeschwindigkeitszügen.

Die Tatsache, daß die beiden Riesen seit 1996 zumindest in Asien dasselbe Gleis befahren, ist sicher einer der Gründe, weshalb GEC Alsthom so diplomatisch auf das Unglück von Eschede reagierte. Sie mag auch erklären, weshalb die Ingenieure der französischen Firma trotz der technisch überlegenen TGV-Technologie zu keinem Vergleich zwischen TGV und ICE bereit waren. Denn sollten die asiatischen KundInnen nach dem Unglück von Eschede eine andere Wahl treffen, wäre davon auch der TGV betroffen.

Jenseits von Asien freilich geht das Wettrennen weiter. In Kanada betreibt GEC Alsthom zusammen mit seinem örtlichen Partner Bombardier Lobbying für ein französisches Hochgeschwindigkeitsnetz. Und Australien könnte sich schon in diesem Sommer für den TGV made in France entscheiden. Dorothea Hahn, Paris