Ende eines zähen Geschachers

Die EU hat sich auf die Lastenaufteilung bei der Verminderung der Treibhausgase geeinigt und damit die Auflage des Kiotoer Klimaschutzprotokolls erfüllt  ■ Von Matthias Urbach

Berlin (taz) – Der Durchbruch kam in der Nacht. Nach zwölf Stunden Verhandlungen verkündete der britische Vizepremier John Prescott in Luxemburg glücklich, die EU-Staaten seien sich weitgehend einig, wer wieviel zur gemeinsamen Klimaschutzverpflichtung beitragen müsse. Zwar wurde gestern bei Redaktionsschluß noch um die Formulierung der Maßnahmen gerungen. Die Zahlen selbst standen Insidern zufolge jedoch schon fest.

Demnach tragen Dänemark und Deutschland die Hauptlast. Sie müssen ihren Ausstoß an Treibhausgasen bis 2010 im Vergleich zu 1990 um je 21 Prozent verringern (siehe Tabelle). Einen weiteren großen Anteil übernehmen Großbritannien und Österreich.

Um die Verteilung war in den vergangenen Monaten verbissen gerungen worden. Die Niederlande, Finnland, Frankreich, Italien und Belgien hatten die alte Abmachung vom Vorjahr (siehe Tabelle) aufgekündigt, weil sie inzwischen weniger fürs Klima tun wollten. So war es beinahe ein Wunder, daß es dem Chefunterhändler, Großbritanniens Umweltminister Michael Meacher, doch noch gelang, den Lastenausgleich termingerecht zu retten.

Alle Begehren abwehren konnte jedoch auch er nicht. Die Niederlande (minus 6 statt minus 10) und Österreich (minus 13 statt minus 25) können sich nach der Einigung als Sieger fühlen. Sie müssen nur noch gut halb soviel tun wie vor einem Jahr versprochen. Dafür sagten Großbritannien, Schweden, Portugal, Spanien und Griechenland etwas mehr zu.

Und: Alle Länder zusammen werden den Ausstoß der sechs Treibhausgase, unter denen Kohlendioxid und Methan die größte Rolle spielen, nur um etwa 8 Prozent vermindern. Das ist zwar genau das, was die EU auf dem Klimagipfel in Kioto zugesagt hatte. Doch Meacher hatte eigentlich 8,9 Prozent Minderung bis 2010 angepeilt – sicherheitshalber. Schließlich hatte die EU-Kommission noch im April gewarnt, daß die Treibhausgase aus dem Verkehr viel stärker zunähmen als bislang erwartet. Der Ausstoß war in den zehn Jahren vor 1995 um mehr als ein Drittel gestiegen. Der Verkehr hat einen Anteil von einem Viertel an allen Treibhausgasen, die in der EU produziert werden. Aus Kommissionskreisen verlautete bereits, daß nach neuen Berechnungen auch der Ausstoß aller Treibhausgase zusammengenommen stärker ansteigt als bisher angenommen. Zu diesem Schluß komme ein neues Trendszenario, das demnächst erscheint.

Auch wenn Meacher den Beschluß nun noch innerhalb der Frist vorweisen konnte, kam das Papier bei Umweltverbänden nicht gut an. „Erst hat die EU in Kioto die große Klappe und fordert minus 15 Prozent“, kritisiert etwa Delia Villagrasa, Sprecherin vom Klima-Netz Europa (CNE). „Und jetzt schafft sie gerade knapp 8 – das ist eine große Enttäuschung.“ Vor allem kritisiert Villagrasa die großen Abstände zwischen Deutschland und Dänemark, die viel täten, und Ländern wie Portugal, Griechenland und Spanien, die ihren Ausstoß noch steigern dürften – stärker als jedem anderen Industrieland nach dem Kiotoprotokoll erlaubt ist. „Das schwächt die Verhandlungsposition der EU gegenüber anderen Staaten.“ Immerhin beansprucht die EU weltweit die Vorreiterrolle.

Anlaß zur Skepsis geben auch die Unterschiede zwischen freiwilligen nationalen Selbstverpflichtungen und dem, was die Länder offiziell in den EU-Lastenausgleich einbringen. So hat Großbritannien das nationale Ziel von 20 Prozent, will aber nur 12,5 Prozent einbringen. Deutschland will, begünstigt durch den Zusammenbruch der Schwerindustrie in der ehemaligen DDR, bis 2005 schon 25 Prozent weniger ausstoßen, bringt aber nur 21 Prozent ein. Was geschieht mit dem unverbindlichen Rest? Wird die freiwillige Selbstverpflichtung mit der Zeit wieder fallengelassen? Oder die Differenz gar ans Ausland als Verschmutzungserlaubnis verkauft – wie es das Kiotoprotokoll möglich macht? Sascha Müller-Kraenner, Klima-Experte vom Deutschen Naturschutzring, setzt wenig Vertrauen in die deutsche Bundesregierung. „Ich habe den Verdacht, daß das der leise Ausstieg aus den nationalen 25 Prozent ist.“ Gestern bestätigte ein Sprecher von Angela Merkel allerdings, daß sie am nationalen Ziel festhalten wolle.

Überraschend ist aus Sicht der Umweltschützer das Verhalten von Österreich und den Niederlanden – gelten doch beide sonst als Ökovorreiter in der EU. Österreich fürchtet offenbar um seine Exportchancen, wenn es sehr viel mehr tut als Frankreich oder Spanien. Die Niederlande nehmen für sich in Anspruch, kaum noch Sparmöglichkeiten zu haben. „Das ist sehr enttäuschend“, urteilt Lars Jeorg Jensen vom WWF-International. „Schließlich haben die Niederlande den höchsten pro Kopf-Ausstoß in der EU“.