Nur keine Frotteehosen anziehen müssen

■ Zwei Hamburger Fußballerinnen haben ihren Kollegen etwas voraus: Internationale Klasse

Die deutsche Nationalmannschaft spielt in Frankreich um die Weltmeisterschaft. Aus Hamburg hat Berti Vogts nicht einen Spieler mitgenommen. Statt dessen sind dieses Jahr zwei Frauen in die Bundesauswahl berufen worden.

Die gemeinsamen Schwierigkeiten beginnen, wenn beide sich Gedanken über die andere machen sollen. Antonia Schmale zögert lange, bevor sie den tödlichen Pass spielt: „Schnell ist Tanja.“ Danach eine Pause. „Hhmmm, ich versteh' mich ganz gut mit ihr, sie ist lustig.“ Und dann eine größere Pause. „Eigentlich bin ich überfragt.“ Bei Tanja Vreden geht es zuerst sehr schnell: „Oh, Gott“, dann die längere Pause. „Toni ist ausgeflippt, immer gut drauf und ein Gerechtigkeitstyp.“

Auf dem Platz klappt die Verständigung besser, obwohl die beiden mit dem HSV eine schlimme Saison in der Frauenfußball-Bundesliga hinter sich haben. Im vergangenen Sommer aufgestiegen und sofort wieder abgestiegen. Wenigstens konnten Toni Schmale und Tanja Vreden konnten bei Tina Theune-Meyer, der Bundestrainerin, und Silvia Neid, ihrer Assistentin, Pluspunkte sammeln.

Ihre erste Lederpille bearbeiteten sie, sowie sie einigermaßen selbständig laufen konnten: Schmale auf den Straßen Eidelstedts und Vreden auf dem Zierrasen zwischen den Hochhäusern Mümmelmannsbergs, als einzige Mädchen unter den gleichaltrigen Jungen der Nachbarschaft. Warum Fußball? Die unvermeidliche Frage nach dem Selbstverständlichen erstaunt die achtzehnjährige Toni: „Ich muß erstmal überlegen, was ich darauf antworten soll.“ Für Tanja Vreden scheint die Antwort einfacher: „Früher war ich selbst wie ein Junge. Zuhause gab's immer Tumult, wenn ich beim Weggehen keinen Rock anziehen wollte, und als ich mal einen Puppenwagen zu Weihnachten bekommen habe, hab' ich so geheult, ehrlich.“ Außerdem waren andere Sportarten bei beiden einfach nicht angesagt. Hockey zum Beispiel. Schmale hätte dann mit Mädchen zusammenspielen müssen und für Vreden waren es wieder die Röcke oder „die Frotteehosen beim Volleyball.“ Also blieben nur die Fußballabteilungen des ETSV Altona und des Mümmelmannsberger SV. Bis 12 wieder mit den Jungen aus der Nachbarschaft zusammen und danach – der DFB möchte das so – in „Mädchenmannschaften“. Tanja Vreden landet schließlich 1995 beim HSV, im selben Jahr wie Toni Schmale.

Beide sind Instinktfußballerinnen mit diesem Schuß Genialität, mit dieser tragischen Verrücktheit, Geistesblitze in unvorhergesehene Tricks umzuwandeln, die dann in die Hose gehen. Toni Schmale ist offensive Mittelfeldspielerin. Über sich selbst sagt sie: „Ich dribble lieber als den Steilpaß zu spielen oder hart einzusteigen.“ Und Tanja Vreden ist Stürmerin, unglaublich schnell. „Wenn ich anfange zu laufen, bin ich schon am Zaun“, äußert sie in aller Bescheidenheit über sich. Sie kann eine ganze Abwehr auf Hundertachtzig bringen und bekommt Probleme, wenn niemand mehr da ist, den sie ausspielen könnte, um den Ball dann im Tor unterzubringen. Dennoch schoß sie immerhin sechs Tore in 22 Bundesligaspielen.

Was ihnen am Fußball und dem Rest des Lebens wichtig und was ihnen nicht ganz so wichtig ist, wissen beide ganz genau. Und je weiter die beiden sich vom Platz entfernen, umso einiger werden sie sich. Reglementierungen sind nicht ihre Welt. Beide lassen sich ungern in ihr Leben reinreden. Tanja Vreden wurde kürzlich von ihrem „Typ“ etwas unüberlegt vor die Wahl gestellt: „Entweder ich oder der Ball!“ Sie hat sich sehr schnell entschieden. Sie ist jetzt wieder solo. Bei Toni fiele die Entscheidung wahrscheinlich anders aus. Freunde sind ihr wichtig und die möchte sie nicht vernachlässigen. Sie kann sich aber auch nicht vorstellen, ohne Fußball zu leben. „Ich bin aber nicht diejenige, die immer vorm Fernseher hängt und sich Fußballspiele anguckt, nur ganz interessante Spiele.“ Aber auch die Selbstverständlichkeiten einer Nationalspielerinnen-Biografie gehen ihr nicht unbedingt locker von der Zunge. „Mein erstes Länderspiel war vor Weihnachten, nee, nach Weihnachten. Nee, das war im Januar.“ Es war am 5. Februar, genau eine Woche vor ihrem 18. Geburtstag. Die wichtigsten Einzelheiten konnte sie sich aber doch merken: „Ich war so aufgeregt beim Einlaufen, daß ich beinahe über meine Schnürsenkel gestolpert wäre.“ Den 1:0-Sieg hat sie auch noch behalten, die 66. Minute ihrer Einwechslung noch ungefähr. Tanja Vreden hingegen verwandelt diese Möglichkeit eiskalt. „Mein erstes Länderspiel werd' ich nie vergessen. Das war am 28. Mai in Dresden gegen Neuseeland. 8:0.“ Torschützin zum 1:0 in der 10. Minute sie selbst. „Ich hätte drei Ehrenrunden laufen können.“

Größere fußballspielende Gegensätze mit derart vielen Gemeinsamkeiten scheinen kaum denkbar und spielen trotzdem in einem Verein und dann auch noch beim HSV. Für Tanja Vreden war das nie eine Frage. „Ich bin wegen des tollen Namens zum HSV gekommen.“ Und um erst gar keine Zweifel aufkommen zu lassen: „Zwei Bundesligisten find' ich auch gut für Hamburg. Einen in der 1. und einen in der 2. Liga.“ Toni Schmale spielt in Schwarz-Weiß-Blau, weil der HSV eben in der höchsten Liga spielte. „Den HSV fand ich eher immer ein bißchen abschreckend.“ Die Feststellung dient wohl eher der Selbstvergewisserung. Sich selber findet sie auch viel besser in die Gegend um das Millerntor passend. Andere wohl auch, wenn sie sie sehen: selbstgedrehte Rastalocken, mal grün, mal lila, mal rot. Schlabberhosen und weite, bunte Klamotten an. Berufswunsch Tischlerin. Wie aus einer schlechtgemachten Werbebroschüre des braun-weißen Nachbarn.

Und die Zukunft? Tanja Vreden möchte zusammen mit ihrer Mitspielerin Susann Stephan im Behindertensport arbeiten. Schmale ist von tischlernder Erwerbsarbeit bisher noch verschont geblieben, Sie will nächstes Jahr im Sommer erstmal ihr Abitur zimmern. Sollte der HSV dann den Wiederaufstieg nicht geschafft haben, werden wohl beide den Verein verlassen. Aber in der Nationalmannschaft können die beiden dann noch immer ihre Gegensätzlichkeiten ausleben.

Uwe Wetzner