Viele beats per minute boxen

■ Schläge gegen den Kopf: Die „M 6 Box“diskutiert den Sport als Ort künstlerischer Projektionen

„Aus dem Clinch in den Infight überwechselnd, trommelte er fünf linke Jabs gegen meinen Kopf, und mein Auge begann sich bereits jetzt zu schließen“. Das Herz eines Boxers scheint weniger Schmerz zu fühlen, als kampftechnische Daten präzise zu notieren – so jedenfalls erinnert Max Schmeling den Fight gegen Joe Luis in seiner gleichnamigen Autobiographie. Schläge gegen den Kopf, die zu denken geben. Zumindest jenen, die übers Boxen lesen. Wie Jan Philipp Reemtsma zum Beispiel, der in seinem Boxen und Kunst reflektierenden Buch Mehr als ein Champion die Faszination, die der Sport auf Intellektuelle ausübt, mit ihren berufsbedingten Problemen beim Ausdruck von Aggressionen erklärt: Statt zu schlagen, schreiben sie.

Poetry Slam und Beats per minute – Schläge und Schlachten werden auch aktuell gern in der Literatur- und Musikszene inszeniert. Aber welche Faszination übt der Ring, der Schlag auf die Kunst aus? Die Ausstellung M 6 Box will ab heute dieser Frage mit einem Aktionsprogramm nachgehen. Und zwar im doppelten Sinn des Wortes: In der Box, dem Ausstellungsraum, werden Lesungen, Performances und Vorträge sich der merkwürdigen Beziehung zwischen Boxkampf und Kopf widmen. Der Off-Szene-Veranstaltungsort in der Marktstraße 6, in letzter Zeit mit wechselndem Programm zum Ort der Diskussion künstlerisch relevanter Themen geworden, bietet zur Vernissage ein öffentliches Training, kombiniert mit einer Lesung zum Leben Max Schmelings. Präsentiert wird das Boxen als Sport zwischen cleanem Körperkult und schmuddeligem Ritzen-Ambiente, als Ort künstlerischer Projektionen.

Im Schlag, präzise ausgeführt von einem Boxer im Ring, fanden Dichterinnen und Dichter der Moderne wie Jack London, Joyce Carol Oates oder Bertolt Brecht einen Topos der Körperlichkeiten, der zu poetischer Bearbeitung trieb. Hörstücke sollen diese Wechselbeziehung von Dichtung und Boxen am Samstag beleuchten. Für Hemingway war der Boxkampf in erster Linie urtümlicher, purer Manneskampf. Daß es um Inszenierung, Überblick, Stil geht, hat Muhammed Ali gezeigt. Qualitäten, die seine Siege zu „Kunstwerken der Boxgeschichte“ (Reemtsma) machten. Den berühmten Kämpfen ist der 26. Juni unter dem Titel Der große Zeh Gottes gewidmet.

Den Höhepunkt des intellektuellen Schlagabtauschs bieten die Literaturwissenschaftler Frank Hofmann (Berlin) und Ralph Musielski (Hamburg) unter dem Titel „Körperbau – Baukörper“. Musielski, der die M 6 Box gemeinsam mit Christoph Geiger organisiert hat, traktiert mit Hoffmann die Frage, ob das Sujet des Boxers in Kunst und Literatur der Moderne Idealbild neuer Sachlichkeit oder Markierung körperorientierter Restauration sei.

Fünf linke Jabs – fünf Tage Boxen und Kunst: Beide Disziplinen bearbeiten den Körper. Das klug kombinierte Programm läßt spannende Schaukämpfe erwarten.

Jens Emil Sennewald

Eröffnung: heute, 20 Uhr. Weitere Termine: 20., 26., 27. Juni sowie 1. Juli, jeweils 20 Uhr, Marktstraße 6, Eintritt frei