Village Voice
: Kein Pussypop

■ Nach zwei Singles (und dem Abi) haben die Pop Tarts jetzt auch ein prima Album gebaut

Okay, nicht zurückschalten, Fuß bleibt drauf, bleischwer, Vollgas. Ungezwungen und ohne Druck die Welt erobern und die Fans befrieden, das haben die Pop Tarts mit ihrem Debütalbum „Woman is the Fuehrer of the world“ im Sinn. Schließlich mußte unsereins lange ausharren und sich mit zwei grandiosen, aber eben nicht lange vorhaltenden Vinylsingles begnügen. Und mit ihren nicht seltenen Berliner Konzerten, auf denen die Band bisher ihrem Sturm und Drang freien Lauf ließ. Die sah man zuerst mit ungezügelter Begeisterung, so frisch und unfromm spielte lange keine Berliner Band mehr nach vorne. Um es mit Brezel Göring zu sagen: „Große Augenblicke der Musikgeschichte, die wir da miterleben durften.“ Später allerdings schlich sich Routine in die Pop-Tarts-Live- erleben-Rezeption. Statt immer nur einzustöpseln und zuckrigen Punkrock zu spielen, hätte dann und wann ein Ausfallschritt in Richtung Gimmick, möglicherweise auch Ballade oder großer, gar verschachtelter Songs sicher zu Entspannung, Irritation und noch größerer Bewunderung geführt.

Und eben ein Album. Wie es die Verantwortlichen der Plattenfirma mal kolportierten, weil die „unwahrscheinlich jungen“ Bandmitglieder sich nicht um businessgemäße Stringenz scheren und erst mal Abi machen wollten. Nun gut, das ist erledigt. Julia, Olga, Franzie und Hennie (der Eric Erlandson bei den Pop Tarts) sind dann auch mit der Veröffentlichung ihres Debüts um einiges gealtert und gereift. Sind sie doch gar nicht zarte 18 oder 19 Jahre alt, sondern entpuppen sich laut Waschzettel als durchaus gestandene Twentysomethings und mehr. Dementsprechend erwachsen und nachgerade revolutionär die Titelgebung: Nicht „Pussypop“, nicht „Porno“, nicht „Die Pop Tarts lieben Dich“, nein – „Woman is the Fuehrer of the world“: Damit auch der Spiegel zum soundsovielten Mal und endlich auch in Berlin die Riot Grrrls und Girlpower entdecken kann.

Ruhiger als die Livegigs sei das Album geworden, wie Bassistin Julia einem das schon mal vorab in ihrer Eigenschaft als Teilzeitarbeitnehmerin in diesem Haus steckte. Fast ein wenig betrübt sagte sie das, doch schlecht bekommen tut das der Band weiß Gott nicht. Große Augenblicke der Musikgeschichte eben, und da verweisen die Pop Tarts mit ihren zehn Songs in fünfundzwanzig Minuten direkt in die goldenen Achtziger, als schleckerlecker Rosehips ideale Pop-Offenbarungen für alle Heranwachsenden waren. (Ganz weit in der Vergangenheit winken natürlich die Ramones). Nicht, daß die Pop Tarts hier nun etwas entscheidend Neues hinzufügen. Aber es geht wie bei jeder guten Popmusik auch immer um das Hier und Jetzt und nicht um den Ballast der Geschichte, den jede neue Band nolens oder volens mit sich herumträgt. Also (noch?) nicht um work und death, sondern ganz Bravo-mäßig um „Kindheit, Jugend, Sex“, um früh- und spätpubertäres Freud und Leid, um (Post?-)Feminismus im Zeitalter von Janet Jackson, Heather Nova, Amica und Allegra ... Schließlich „machen wir natürlich Musik, damit uns die Jungs toll finden“. Tun sie bestimmt, die Pop Tarts fächeln genug frische Luft unter all die verschwitzten Achseln: mit ihren glockenhellen Gesängen, ihren Orchestersamples, ihren schummrigen Easy-Orgeln, ihren smarten eins, zwei, drei Gitarren, ihren einfachen und hübschen Songs, die eigentlich jeder vom Fleck weg in sein Herz schließen kann.

Pop ist tot, titeln nur die, die es schon mehrmals vergeblich versucht haben und mit aller Macht Pop machen wollen und müssen. Die Pop Tarts haben solche Probleme noch nicht, für sie heißt es erst mal: Vollgas, Pop starts! Gerrit Bartels

Pop Tarts: „Woman is the Fuehrer of the world“ (Bungalow/Efa)