Hilflos und brutal wie die Wirklichkeit

■ Das Kölner Jugendtheater Monteure gastiert im carrousel-Theater. Fremdenfeindlichkeit lernt man nicht zu verstehen, wohl aber die Menschen hinter den gesichtslosen Fakten

Die Bühne: ein dunkler Bretterverschlag. In der Stille hört man Industrie- und Naturgeräusche. Dann greifen Ralf Werner und Susanne Karow zu den Marimbas und beginnen einen leisen Rhythmus. Bis Werner abbricht und das elektrische Cello zur Hand nimmt. Die Klänge, die er diesem entreißt, sind hart und rhythmisch, aber mit abgedroschenen Rockposen sinnlos aggressiv, platt und brutal: genauso platt und brutal wie der ausländerfeindliche Anschlag vor zwei Jahren in Mahlow.

Am 16. Juni 1996 provozieren zwei Skinheads in dem brandenburgischen Städtchen einen Autounfall mit drei schwarzen Bauarbeitern, bei dem einer, Noel M., so schwer verletzt wird, daß er vom Kopf abwärts gelähmt bleibt. Diese Faktenlage nimmt das Kölner Jugendtheater Monteure als Ausgangspunkt für seine preisgekrönte Musiktheaterproduktion „Bleichgesicht“, die für drei Aufführungen im carrousel-Theater gastiert.

Der fremdenfeindliche Hintergrund bildet allerdings nur die Rahmenhandlung, in die Tagebuchaufzeichnungen von Noels fiktiver Freundin Lisa (Karoline von Lüdinghausen) eingebettet sind. So wird die politische Ebene bis zu Lisas wütendendem Schlußmonolog zugunsten der Liebesgeschichte ausgeblendet. Eine Dramaturgie, die ähnlich funktioniert wie der Musikeinsatz: Anstelle der im Jugendtheater beliebten Songeinlagen arbeiten Werner und Karow bewußt mit nur schwer zugänglichen Kompositionen zwischen New Jazz und Weltmusik. So ist die Musik nicht kommentierend, keine didaktische Hilfe, die die inhaltliche Ebene unterstützt, sondern ein für ein jugendliches Publikum ungewohnter Kontrapunkt, der die Fokussierung auf Lisa verstärkt – mit dem Effekt, daß Noels Freundin und mit ihr die private Liebesgeschichte das einzige Identifikationsmodell aus der jugendlichen Lebenswelt bieten.

Die damit einhergehende Personalisierung der abstrakten politischen Fakten kann der Produktion sicherlich als Manko vorgeworfen werden: Fremdenhaß lernt man so nicht zu verstehen. Gleichzeitig bleibt die nachvollziehbare Liebesgeschichte ein Einstieg, über den das jugendliche Publikum angeregt werden kann, sich mit dem Schicksal der Opfer rechter Gewalt zu befassen. Die markigen Sprüche, die im Zuschauerraum nach der Schilderung von Noels Verletzungen kursieren, zeigen, daß eine Botschaft angekommen ist: „Immer noch besser gelähmt als tot“, das klingt sicher hart. Dahinter verbirgt sich aber die Erkenntnis, daß es schon schlimm genug ist, wie es gekommen ist. Auch eine, wenngleich hilflose Form, das Geschehene zu verarbeiten. Und eine Solidarisierung mit den Menschen hinter den namen- und gesichtlosen Fakten. Falk Schreiber

Noch heute, 10.30 Uhr, im carrousel-Theater an der Parkaue 29