Abgeordnete suchen die bessere Zukunft

■ Tomaten züchten statt Lohnarbeit? Zum zweiten Mal tagte die Parlamentskommission „Zukunftsfähiges Berlin“. Schwierigkeit ist, Arbeit und Umwelt unter einen Hut zu bringen

40 Jahre von der Rente bis zum Tod. „So etwas wird es bald häufiger geben“, sagte gestern Eckart Hildebrandt vom Wissenschaftszentrum Berlin voraus. Halb erschreckt, halb amüsiert raunte das Publikum, und die Abgeordneten wiegten zweifelnd die Häupter.

Doch der Wissenschaftler fuhr fort, den Advocatus Diaboli zu geben. Die bezahlte Erwerbsarbeit werde gravierend abnehmen, und viele BerlinerInnen hätten auch in Zukunft rein gar keine Chance, durch Lohnarbeit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Obwohl die Wirtschaft nur noch einen unzureichenden Teil der Bevölkerung mit Jobs versorgen könne, schreite andererseits die Umweltzerstörung fort. „Das ganze Wohlstandsmodell steht in Frage“, so Hildebrandt.

Große Probleme wälzte die Enquete-Kommission „Zukunftsfähiges Berlin“ während ihrer zweiten öffentlichen Sitzung im Abgeordnetenhaus hin und her. Die großen Lösungen blieben freilich aus – von Ansätzen einmal abgesehen. Aber das ist ja auch die Aufgabe, die die am 19. Februar vom Parlament eingesetzte Kommission erfüllen muß. Im April nächsten Jahres erwarten die VolksvertreterInnen einen Bericht, wie die Stadt Berlin „zukunftsfähig“ werden kann.

Haben wir keine Zukunft? Doch, aber eine schlechte – wenn man so weitermacht wie bisher. Das war eine grundsätzliche Aussage der großen Umweltkonferenz von Rio de Janeiro 1992, auf der nun auch die Arbeit der hiesigen Kommission basiert. Der Begriff „zukunftsfähig“ umschreibt das Bild einer besseren Zukunft: Im Gegensatz zu heute sollen alle späteren Generationen menschenwürdige soziale und ökologische Bedingungen vorfinden.

In der 15köpfigen, auf Initiative der PDS und der Grünen einberufenen Gruppe sitzen ParlamentarierInnen aller Parteien und ein paar ausgewählte ExpertInnen wie Zukunftsprofessor Rolf Kreibich. Sie wissen, daß einiges, was sie erarbeiten sollen, längst bekannt ist, wegen politischer Blockaden jedoch lahmliegt. So etwa ist für drastische Reduzierung des Ausstoßes von Kohlendioxid die Einschränkung des Autoverkehrs notwendig. Die aber setzt der Senat nicht um. Deshalb stehen die Chancen nicht schlecht, daß im Sommer 1999 die im Abschlußbericht geronnene Arbeit einfach in den Schubladen verschwindet.

Aber einige der großen Fragen harren tatsächlich einer Antwort. Wie kann man Arbeit schaffen, ohne die Natur weiter zu zersiedeln und zu planieren? Eckart Hildebrandt versuchte sich in groben Strichen: Wenn Arbeitslose mittels Selbstversorgung Produkte des täglichen Bedarfs herstellen würden, bräuchten sie nicht unbedingt bezahlte Jobs, und ein Grund für das umweltzerstörende Wirtschaftswachstum entfiele. Hobbygärtnerei als Zukunftsmodell? Die Kommission wird das beurteilen. Hannes Koch

10.9., 3. öffentliche Sitzung: „Umwelt und Entwicklung“