Zur Typologie des zeitgenössischen Spießers Von Joachim Frisch

Die Zeiten stehen schlecht für subtile Kritik, wer nicht weit die Klappe aufreißt, dessen Stimme geht unter. Deshalb schimpfe ich hier laut und vernehmlich, und zwar auf den Spießbürger. Die Spießerkritik ist nämlich versandet, seit die Intellektuellen der 80er Jahre, achtundsechzigermüde und zeitgeisttrunken, dem Spießer als harmlosen Liebhaber putziger Gartenzwerge Schonzeit gewährt haben.

Es ist an der Zeit für eine neue Spießerkritik, denn der Spießer ist weder harmlos noch putzig, er ist nach wie vor häßlich, widerwärtig und gemein. Er hat sein Äußeres verändert, trägt Jeans und hört Rockmusik, das heißt, er hat das getan, was er schon immer beherrscht hat, sich angepaßt und angedient. Doch die drei Affen symbolisieren ihn nur noch unzureichend, den Spießer von heute. Er hält sich nicht mehr Augen, Ohren und Mund zu, im Gegenteil. Nachdem ihm alle Revolutionen, Rezessionen, Kriege und Mauereinstürze nichts anhaben konnten, nachdem sie ihn vielmehr noch gestärkt haben, reißt er das Maul auf und schwadroniert, daß man sich den affenartigen Bilderbuchspießer zurückwünscht.

Daß er wieder derart auf den Busch klopft, der Spießer, liegt nicht zuletzt am Politiker, der sich beim Spießer einschleimt, der Kanzlerkandidat der Sozis schlimmer als der Kanzler selbst. Auch die GrünIn, der noch jede eklige Blattwanze erhaltenswert erscheint, tut so, als müsse sie das Aussterben des Spießers verhindern und kriecht mit ihrem feuchtbiotopen Wertekonservatismus bei ihm zu Kreuze. Niemand wolle der BürgerIn ihr gemütliches Zuhause verleiden, flötet sie seit Grünengedenken mit reichlich Tremolo in der verletzlichen Stimme. Das ist gelogen. Ich will es ihr verleiden, der SpießbürgerIn, ich will ihre beleuchtete Plastikgans im Küchenfenster implodieren, ihre Gartenlaube vom Blitz getroffen einstürzen, ihre gerafften Gardinen von Saatkrähen zerrissen und verschissen, ihren quengelnden Rasentrimmer bersten sehen.

Natürlich bestreitet der Spießer, ein Spießer zu sein. Der Spießer, das ist immer der andere, für den Technokraten ist der Pädagoge der Spießer, für den Pädagogen der Bankangestellte, für den Bankangestellten der Hausmeister, für den Hausmeister der Pfarrer, für den Eigentumswohnungsbesitzer der Doppelhaushälftenbesitzer, für den Doppelhaushälftenbesitzer der Mallorcapauschaltourist im ballonseidenen Jogginganzug. Spießig ist immer das, was andere tun. Für die Guildohorngemeinde ist Philcollinshören spießig, für den Opelomegamann BMW-Fünferreihenfahren, für den Fußballfreund das Tennis. Und umgekehrt. Alle haben Recht, denn die Welt ist so trivial, wie sie erscheint. Die Gepflegtheit des Rasen- und Tierbesitzers stehen in einem engen Zusammenhang. Wer seinen Rasen zu- und seinen Hund abrichtet, der ist nicht selten ein Mensch, der seine Nachbarn zu- und abrichten möchte, den es zumindest nicht interessiert, wenn andere Menschen zu- und abgerichtet werden.

Kurzum: Es ist an der Zeit, dem Spießer Zunder zu geben, aufs Maul. Der Ordnung halber werde ich ihn aber zuerst kategorisieren und eine Typologie des Spießers erstellen. Zuallererst muß ich aber noch den Rasen mähen und die Kanten trimmen. Wegen der Nachbarn.wird fortgesetzt