Vieri läßt den Trainer hüpfen

Nach dem unspektakulären 3:0 über Kamerun gibt es wenigstens auf die italienische Frage Baggio oder Del Piero eine endgültige Antwort – Christian Vieri  ■ Aus Montpellier Peter Unfried

Es war ein richtig angenehmer Abend in Montpellier gewesen, warm und schön und wie gemacht für Fußball. Dennoch bleibt, wenn man zurückdenkt, nur ein mäßig angenehmes Gefühl. Daß Cesare Maldini das anders sieht, ist kein Widerspruch, sondern im Prinzip der Grund dafür. Der italienische Trainer wähnt sich nach dem 3:0 über Kamerun nicht nur so gut wie im Achtelfinale, sondern auch auf dem richtigen Weg. Sein Ergebnisfußball hat das Ergebnis gebracht; daß die Italiener dabei eine Halbzeit gegen zehn Kameruner spielten und dennoch lange durchhingen, interessiert weder ihn noch seine Spieler. „Sie lagen zurück, sie mußten ein Tor machen“, sagte Christian Vieri. Wenn Italien nach sieben Minuten 1:0 führt – können die Gegner sehen, wo sie bleiben. Die Zuschauer sowieso.

Das Spiel hat immerhin Antworten gegeben auf die ziemlich drängendste Frage aller Zeiten. Baggio oder Del Piero? Der eigentlich bereits emeritierte oder der eigentlich bereits inthronisierte Künstler/Held? Die Antwort von Montpellier ist nach dem Geschmack von Maldini Senior (66) und lautet vorläufig: Egal, Hauptsache Vieri. Christian Vieri (24) ist kein „fantasista“. Bloß ein Toremacher. „Für einen Stürmer“, sagte er sachlich, „ist es wichtig, daß er ein Tor schießt.“ Zweitens: „Ich habe zwei Tore geschossen.“

Vieri (vorher Juventus Turin) hat zwar eine gute Saison bei Atlético Madrid als spanischer Torschützenkönig hinter sich, aber irgendwie ist das schon eine Art Exil. Und daß er nun mit dem Chilenen Salas die WM-Torschützenliste anführt (3 Tore) eine „Befriedigung“. Er ist ein kräftiger, kopfballstarker Stürmer, dem man den Ball nicht auf den Fuß legen muß. Man kann das Leder auch mit Gottes Segen irgendwo hinschicken – und den engagierten Mann hinterher. Aber Vieri kann auch Feineres: Beim 2:0 lupfte er einen Querpaß von Moriero mit Gefühl über Keeper Songo'o. Charakteristischer war aber schon der zweite Treffer – für ihn und Kameruns Rückfall in negativen Fußball-Afrikanismus. Da nutzte Vieri einen Schnitzer von Ndo, indem er den angeschossenen Wome einfach zur Seite schob. Es war das 3:0, sein fünfter Treffer im erst zehnten Länderspiel, und Cesare Maldini hüpfte in drei großen Sprüngen auf das Spielfeld. Hinterher tat er ganz harmlos und sagte, er „würde nicht sagen“, daß Vieri sein Bester sei. Aber keiner wird nun seinen Beschluß in Frage stellen, daß ausgerechnet der vorne gesetzt ist.

Was Platz zwei betrifft, hat Roberto Baggio (31) in seinen 65 Minuten einen Anspruch auf 90 Minuten nicht untermauert. Er bereitete Di Biagios Kopfballtor vor, verlor aber auch viele Bälle und wirkte weder besonders spritzig noch besonders durchsetzungsfähig. Alessandro Del Piero (23), sagt Maldini, habe bei seinem WM-Debüt „einen neuen Einfluß auf das Spiel“ gehabt. Man kann sagen: Er beschleunigte immerhin das müde Baggio-Tempo.

Italiens Leidenschaft gilt auch der Frage: Warum nicht beide? Maldinis Antwort hat sich vor dem letzten Gruppenspiel gegen Österreich nicht geändert. Sie lautet ganz klar: Weil nicht. Will er etwa die berühmte staffetta kopieren, jenes Wechselspiel, daß der berühmte Ferruccio Valcareggi bei der WM 1970 und 74 mit den rivalisierenden Mailänder Spielmachern Mazzola (Inter) und Rivera (AC) vorgemacht hat? No, sagte Maldini kühl, daran habe er „überhaupt nicht gedacht“. Es sei nur so: „Wenn ein Spieler müde ist, muß man einen neuen bringen.“ Und Baggio war müde.

Zusammenspielen werden sie erst, wenn ein verzweifelter Notfall eintritt. L'Equipe nannte die Vorstellung gestern eine „Lektion in Realismus“, Heißt: Während andere Teams überraschendes Interesse am Spiel offenbaren, bleibt Italiens Küche kalt. Maldini glaubt an ein hart arbeitendes und gut organisiertes Mittelfeld, in dem er mit dem Römer Di Biagio und dem für die rechte Seite zuständigen Inter-Spieler Moriero zwei Alternativen für die gegen Chile bei Spielbeginn aufgelaufenen Malocher Di Livio und Di Matteo installiert hat.

Probleme könnte die Viererabwehr bekommen, die Baresis einstiger Adjutant Costacurta nun zusammen mit Kapitän Maldini zu organisieren versucht. Chiles Stürmer haben darauf bereits aufmerksam gemacht. Nun wirkte sie selbst gegen die auf WM-Niveau schlicht überforderten Kameruner so fehleranfällig, daß Maldini permanent am Rande der Coaching Zone wedeln mußte – und der eingewechselte Hertha-Stürmer Tchami urteilte, nein, sie seien „nicht besonders abwehrstark“.

Als die Übersetzerin Claude Le Roys französische Einschätzung des Gegners mit dem Wort „brillant“ wiedergab, schritt Kameruns Trainer ein. „Ich habe nicht brillant gesagt“, insistierte er, „ich habe gut gesagt.“ Das ist eine realistische Sicht der Dinge. Alles weitere wird sich zeigen müssen.

Kamerun: Songo'o – Njanka, Kalla, Song, Wome – Ndo, Angibeaud, Mboma (66. Eto'o), Olembe – Ipoua (46. Job), Omam-Biyik (66. Tchami)

Zuschauer: 35.000; Tore: 1:0 Di Biagio (8.), 2:0 Vieri (75.), 3:0 Vieri (89.)

Rote Karte: Kalla (43./wegen groben Foulspiels)

Italien: Pagliuca – Nesta, Costacurta, Cannavaro, Maldini – Moriero (84. Di Livio), Dino Baggio, Di Biagio, Albertini (62. Di Matteo) – Vieri, Roberto Baggio (65. Del Piero)